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Der Autor

Katharina Angus wurde 1985 in Offenbach am Main geboren. Sie absolvierte ein Drehbuchstudium an der Filmarche Berlin, studierte Judaistik, Politikwissenschaft, Germanistik und Slawistik (BA) an der Humboldt-Universität und Kulturwissenschaft mit Schwerpunkt auf Osteuropa (MA) an der Freien Universität Berlin. 2016 absolvierte sie ein Praktikum im Prager Literaturhaus und arbeitete als Journalistin in Prager Zeitung. Zurzeit lebt Angus in Berlin und ist als freischaffende Journalistin tätig.

Ihre Texte sind in literarischen Zeitschriften und Kurzgeschichtenanthologien erschienen, neulich Person or Persons Unknown (BELLA triste 61, 2021). 2021 wurde sie zum Klagenfurter Literaturkurs des Musil Museums eingeladen und hat als Autorin am Lit.Fest Stuttgart teilgenommen.

Im November 2022 ist sie Stipendiatin im Prager Literaturhaus (in Zusammenarbeit mit dem Hessischen Literaturrat). Die Zeit Ihres Aufenthalts nutzt sie zum Arbeiten an einem Roman, der in Prag spielt, und auf das Phänomen historischer Untergrundzeitschriften im Samisdat zu Zeiten der DDR und der Tschechoslowakei Bezug nimmt.

Bildnachweis:
© Ramune Pigagaite

Weitere Beiträge dieses Autors

| | Feuilleton | 13.12.2022

Abgeschirmt

Rote und grüne Weihnachtslichter stecken eine gläserne Kabine ab. Im Innern der Radiobooth fügt ein Moderator lose Episoden aus seiner Kleinstadt zur Erzählung. Rückmeldungslos spricht er zur Welt, gießt Eggnog aus einer verknickten Pappschachtel. Im Universitätsseminar „Writing as the Unhuman Revolution“ verglich der Autor Viktor Jerofejew Schreibende mit Radioapparaten, die energetische Wellen einfangen, umwandeln und wieder aussenden.

Ich drücke auf Stopp. Der Eggnog gefriert.

Draußen zwängen sich dünne Rauchfäden aus Schornsteinen, okkupieren über den Dächern ihr eigenes Stück Himmel. Neulich war ich in der Ausstellung „Amidst Smoke Rings“, in der Nationalgalerie. Die seltsame Lust der Nichtraucher am Nikotin. „Der Mensch braucht eben Substanz“, äußerte, bei seinem fünften Kaffee, ein Freund von mir.

Gestern den ausgestoßenen Zigarettenrauch eines arglosen Passanten aufgesogen, ihm sogar gefolgt, durch zwei Straßenzüge, weit über mein Ziel.

In Christa Wolfs Erinnerungen steht, ihr Mann habe einmal gesagt: „Das wär das einzige, was die Literatur versuchen sollte: Das seltsame Leben der Menschen als seltsam zu beschreiben.“[1]

Neben meinem Schreibtisch flackert im Sichtspalt der Heizung eine nervöse Flamme, die bei jedem Höherdrehen des Wärmegrads nach Sauerstoff schnappt. Dann zittert das ganze Gehäuse. Als „geschlossener Korpus mit Blechgehäuse und kaminfeuerähnlichem Brennraum mit Flammenbild“, werden Gaseinzelöfen wie dieser im Internet beschrieben.

„Zwischen uns und den Apparat tritt eine gestaltete Oberfläche, deren Komplexität historisch abnimmt (…). Technikkenntnis wird irrelevant, wenn Interface-Design gelingt und die Black Box in ihrer Handhabung aufgeht (…), mit gravierenden Folgen auch für gesellschaftliche Machtverhältnisse und individuelle Handlungsmacht“[2], finde ich im Vorwort eines Textes zu Gehäusen. Die ersten Radiogeräte seien Bastler*innenstücke gewesen, nichts als unverkleidetes Kabelgestrüpp.

Im Futter einiger Roben des Fin de Siècle finden sich Stoffreste, die lose am Unterrock baumeln, weil niemand sich bemühte, sie zu entfernen. Schwer, sich heute ein unnützes Kabel im I-Phone-Kern vorzustellen. Als Zeugen „höchster Momente der Schöpfung“[3] soll

Bohumil Hrabal Fehler im Text angesehen haben.

Ich wundere mich oft über das Verhältnis detaillierter Plotpläne und abstrakter Theorien zu den intuitiven Ausbrüchen beim Schreiben, auf deren Auftreten man sich verlassen muss und doch nicht kann, und die sich von automatischem Schreiben nur durch simultanes Strukturieren, im Moment des Verfassens, unterscheiden.

Am nächsten Tag, im DOX Centre, entdecke ich bei einer Ausstellung der Jedinečné Svatopěstitelské Družstvo (JSD, the Peerless Cooperative of the Holy Nurture),

neben einer Schreibmaschine ein altes Schnurtelefon mit Drehscheibe. Meine Eltern besaßen früher ein ähnliches Modell, in beige. Als Kind spielte ich oft damit und erinnere mich an ein nostalgisches Gefühl, das ich dabei empfand; nicht in der Rückschau, sondern angelegt im Entdecken. Jemand wird sagen: das erinnerst du falsch. Fest fixiert ruht das vorprogrammierte Mindset unter Schalengestaltung und Interfacedesign.

Ebenfalls bei Christa Wolf, in ihrem Residenzroman, las ich: „Ein Teil der Lust des Erzählens ist ja die Zerstörungslust, die mich an die Zerstörungslust der Physik erinnert (…)“[4]

Zuhause steuern neue Gewohnheiten meinen Bewegungsapparat. Die „Fremdheit“ der ersten Tage schmilzt, und mit ihm die Distanz zu den Dingen, zum Raum. Die Umgebung zurrt sich enger, als sinke die Wohnung Stück für Stück in meine Vorstellung von der Wohnung.

Im Fensterglas schwebt, leicht verzerrt, das Flusspanorama. Ich setzte meinen Weihnachtshorrorfilm fort. Noch immer spricht der Moderator rückmeldungslos in den Äther.

 

[1] Christa Wolf, Ein Tag im Jahr, Eintragung: 27. September 1966

[2] Black Boxes – Versiegelungskontexte und Öffnungsversuche, hrsg.: Eckhard Geitz, Christian Vater und Silke Zimmer-Merkle, Einleitung

[3] Zitiert aus: Samizdat, Past & Present, edited by
   Tomáš Glanc

[4] Christa Wolf, Stadt der Engel oder Freuds Overcoat

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