Prag - Das Schaffen von Jan Novák verlief etwas unter dem Radar der modernen Musikwelt. Es lag wohl daran, dass er die längste Zeit im Exil wirken musste. Doch in den letzten Jahren entstanden wieder einige Neueinspielungen ausgewählter Werke.
Apollo, der göttliche Beschützer der Künste, lässt selbsternannten Kunstkritikern, die sich verächtlich über die Werke seiner Schützlinge äußern, Eselsohren wachsen. Den stinkstiefelreichen König Midas hatte es erwischt, und obwohl sich niemand aus dem Volke traute, ihn auf seine seltsam langgezogenen Ohren anzusprechen, hat sich die Geschichte aus der fernen griechisch-römischen Antike bis heute herumgesprochen. Nicht zuletzt bis zu dem passionierten Lateiner Jan Novák, der dem Vorfall rund zweieinhalbtausend Jahre später ein zum Chorsatz vertontes Gedicht widmete. Auf Latein. Für uns Mittelbegabte gibt es eine deutsche Version: "Die zur Kunst unfähigen Kritiker bestraft der hohe Apoll..."
Die antike Gottheit, in deren Zuständigkeitsbereich auch Musik und die Musikanten fielen, konnte den Komponisten Jan Novák im fortgeschrittenen 20. Jahrhundert allerdings nicht mehr vor unbotmäßigen Kritikern bewahren: Seine Werke sind zu konservativ, zu wenig modern, sagten sie. Aber wie so oft hört sich Musik im Konzertsaal ganz anders an als in den gespitzten Ohren der Kritiker: "Begeisterung beim Publikum", mussten sie dann doch - und wohl etwas widerwillig - in ihren Artikeln notieren, sollte man ihre Eselsohren nicht sofort erkennen.
Das Musikerleben des jungen Jan Novák begann als Klavierstudent in Brünn. Nach dem Krieg, von denen er zweieinhalb Jahre als Zwangsarbeiter in Deutschland verbrachte, führte er seine Studien zunächst in Prag weiter, bis er 1947 als Stipendiat in New York bei seinem großen Vorbild Bohuslav Martinů Komposition studieren durfte. Der versierte Jungpianist bat den Meister um ein Klavierduo für sich und seine ebenfalls pianierende Freundin Eliška Hanousková. Doch der Vielbeschäftigte ließ sich nicht erweichen. Was tun? Selbst ist der Mann und nach seiner Rückkehr ins heimische Mähren schrieb er für sich und seine nun mehr junge Ehefrau das Konzert für zwei Klaviere. Die Uraufführung erfolgte 1955 durch das Symphonische Rundfunkorchester Brünn, an den beiden Klavieren saß das Ehepaar Novákova - alles Weitere haben seinerzeit schon die Kritiker - s. o. - gesagt und notiert.
Die Neueinspielung dieses frühen Konzerts für zwei Klaviere besorgte Dora Novak-Wilmington, die Tochter des Komponisten, zusammen mit dem Pianisten Karel Košárek und dem Prager Radiosymphonieorchester. Auf der neuen CD gehen dem ersten Konzert zwei ebenfalls symphonische Stücke aus späterer Zeit voran. Jan Novák hatte 1968 mit seiner Familie die Tschechoslowakei verlassen. Schon seit Anfang der 60er Jahre hatten die eselsohrigen Kulturkader dem eigenwilligen Schützlings Apolls von sämtlichen staatlichen Aufträgen ausgeschlossen. Mit der Normalisierung nach dem Prager Frühling wurde es immer beengter, Italien wurde zur neuen Heimat.
Das "Concertus Biiugis" für vierhändiges Klavier und Streichorchester aus dem Jahr 1977 steht bereits für diesen neuen Lebensabschnitt des Komponisten. Nicht nur, dass der musikalische Ausdruck, der an Strawinski und einmal mehr Martinů erinnert, reifer und gefestigter ist. Zudem ist nun die lateinische Sprache zu der seinen geworden, und so bedeutet der lateinische Name "Konzert für Zweispänner", soll heißen: Konzert für zwei Pianisten, die wie Ochsen an ein Klavier gespannt werden: Der Notensatz ist derart vertrakt, dass sich die beiden ans Klavier Angespannten auf der Tastatur in die Quere kommen. Der Titel nimmt Bezug die antike Geschichte vom Wagen des Aeneis, dessen Löwengespann zur Freiheit drängte. Die Erstaufführung erfolgte in Fulda, und der Charta 77 galt dieser Freiheitsdrang der Löwen.
Ein besonderes Kleinod ist das dritte Stück auf der CD: "Choreae vernales", zu deutsch die Frühjahrstänze. Flöte ist das Leitinstrument, gespielt von Clara Novákova, der zweiten Tochter des Komponisten. Ein rundum frühlingshaftes fast schon mediterranes Stück aus dem Jahr 1980, das wie ein Abschiedsgruß an das italienische Exil gelten kann. Denn kurz zuvor siedelte die Familie wieder um, nun nach Deutschland, wo er schließlich einen Lehrauftrag an der Stuttgarter Musikhochschule innehatte.
In seiner italienischen Zeit wurde der Komponist vor allem als Chormusiker tätig - und als Lateiner. Eigene lateinische Gedichte vertonte er zu Chorsätzen, die er wiederum mit dem von ihm eigens gegründeten Chor „Voces Latinae“ aufführte, und die 2012 auf einer schönen CD von den Martinů Voices aus Prag neu eingesungen wurden. Jan Novák richtete sich bei seinen lateinischen Versen an der antiken Metrik aus und ausdrücklich nicht an jener aus dem Latein des Mittelalters, die heutigen Chorsängern vertrauter ist. Die Musik untermalt zudem die Texte, um deren Bedeutung zu verstärken, wobei sich der Rhythmus am Versmaß orientiert. Dadurch ist ihre Musiksprache sehr eigen und mündet in eine innovative Chormusik, die aber nie aus dem Rahmen fällt, den sie sich selbst gesteckt hat. Das ist eine kompositorische Leistung, der der Chor unter der Leitung von Lukáš Vasilek ins Nichts nachsteht.
Vertont hat Jan Novák altrömische Texte von Vergil, worin der Dichter seine Flucht ins Exil besingt, wohl auch, weil der Komponist darin seine eigene Emigration besungen sah. Die Texte der folgenden Hirtenpassion basieren auf mittelalterlichen Quellen, das Latein allerdings wurde vom Komponisten auf antik getrimmt. Die Teufel lachen die frohe Botschaft der Engel aus, aber sie sind mit ihrem Latein bald zu Ende, lacht doch am besten, wer zuletzt lacht. Und das machen die Engel besonders hinreißend und wild in der fast schon jazzigen Schlusspassage. Eigene Texte liegen den acht "mythologischen Übungen zu Gestalten aus der römischen Götterwelt" zugrunde, und auch die Texte, die Jan Novák aus dem Netzwerk der modernen Lateinsprecher zwecks Vertonung zugetragen wurden, richten sich nach dem antiken Vorbild, wie jener des Titelstücks "Testamentum", den der Gründer der Stuttgarter Zeitung und späterer Rektor der Uni Tübingen, Josef Eberle, beigesteuert hat.
Lateinnarren scheint es überall gegeben zu haben. Mit diesen Gleichgesinnten telefonierte Jan Novák auf Latein, ersann mit ihnen alte Worte für neue Gegenstände, und aus gesicherter Quelle wird berichtet, er habe sogar seine Töchter auf Latein ausgeschimpft. Und zudem hat er heimatliche böhmische Literatur ins antike Lateinische übertragen, so den braven Soldaten Schwejk, der im Alleingang das Habsburger Imperium lächerlich gemacht hatte.
Am 17. November 1984 verstarb Jan Novák. Es sollte noch sechs Jahre dauern, bis das sowjetische Imperium unterging und endlich wieder ein Werk von ihm in Tschechien aufgeführt werden konnte. 1996 verlieh ihm Václav Havel posthum die Verdienstmedaille der Tschechischen Republik und 2005 seine Studienstadt Brünn die Ehrenbürgerwürde. Die Kritiker sind ihm mittlerweile gnädig gestimmt, womit die Gefahr, dass uns beim Hören seiner Musik Eselsohren wachsen, nun auch kaum mehr besteht. (mm)
Concertos - Symphonische Werke
Dora Novak-Wilmington und Karel Košárek (Klavier), Clara Nováková (Flöte)
Prager Radio Symphonieorchester unter der Leitung von Tomáš Netopil
SU 4331-2
Hörbeispiele unter: https://www.supraphon.com/album/763074-novak-concertos
Testamentum - Chorwerke
Martinů Voices unter der Leitung von Lukáš Vasilek
SU 4159-2
Hörbeispiele unter: https://www.supraphon.com/album/77832-novak-testamentum-choral-works
Ein Verzeichnis sämtlicher Werke des Komponisten findet sich unter: https://jan-novak-composer.webnode.page/