Prag - Mit Musik aus beiden Kontinenten führt uns die neue CD der renommierten Cappella Mariana auf eine österliche Pilgerreise von Böhmen nach Jerusalem: im beginnenden 17. Jahrhundert auf den Spuren des tschechischen Komponisten Kryštof Harant (1564-1621) einmal Orient und zurück in 75 Minuten.
Kryštof Harant war ein umtriebiger Allesmacher. Und auf so manchen Gebieten auch ein Könner. Was für seine Komponistentätigkeit definitiv zutrifft. Aber beginnen wir mit seinem Tod, der ihn zumindest in Böhmen unsterblich machte, weiß doch in Böhmen jedes Kind, dass am Altstädter Brückenturm der Karlsbrücke zu Prag die Köpfe von zwölf der siebenzwanzig böhmischen Adligen aufgespießt wurden, die nach der verheerenden Schlacht am Weißen Berg im November 1620 gegen die Habsburger Truppen auf dem Altstädter Ring am 21. Juni 1621 hingerichtet wurden. Einer von ihnen war Kryštof Harant.
Geboren in Böhmen, aufgewachsen in Innsbruck, als Jugendlicher Page von Ferdinand II., dem Erzbischof von Tirol. Schon früh erfuhr er eine tiefe Bildung auf den Feldern der Literatur und vor allem der Musik. Als junger Erwachsener erbte er die nordböhmische Burg Pecka. Er heirate, stellte sich in den Dienst Habsburgs als Soldat und erfocht sich gar eine jährliche Pension.
Später wurde er unter Rudolf II. einer der politischen Berater des Kaisers, doch die Karriere am Hof brach ab, als Zweifel an seinem aufrichtigen katholischen Glauben aufkamen, meinte er doch, Religion sei Privatsache. Er zog sich zurück, wurde aber schon bald Schatzmeister der böhmischen und damit protestantischen Ständekammer. Als es zu den ersten Kriegshandlungen im letztlich 30-jährigen Krieg kam, war er Artillerieoffizier, allerdings ohne großes Schlachtenglück. Der erste Konflikt weitete sich schnell aus, die Niederlage der böhmischen Stände am Weißen Berg führte zum anfangs erwähnten schlimmen Ende für den Adligen, Politiker, Armeeoffizier und böhmischen Rebell Kryštof Harant.
Privater Schicksalsschlag machte Kryštof Harant zum Bestsellerautor
Vermutlich würde man außerhalb Böhmens heute kaum mehr etwas von ihm wissen, wenn es nicht noch den Schriftsteller und vor allem Musiker Kryštof Harant gegeben hätte. Denn obwohl seine Burg nach seinem Tod von den Siegern geplündert, Musikinstrumente geraubt und Noten vernichtet wurden, sind doch etliche, vor allem liturgische Chorwerke erhalten geblieben, die anderswo einlagerten. Seine polyphone und kontrapunktische Technik wurde gerühmt, sodass Notenabschriften seiner Motetten sogar von Verlagen in Venedig herausgegeben wurden. Und selbst am Habsburger Hof kamen seine Werke auch nach seinem Tod zur Aufführung.
Und es war ein schwerer privater Schicksalsschlag, der ihn zu einem Bestsellerautor machte. Denn kaum war verheiratet, war er schon wieder Witwer. Nach dem Tod seiner ersten Frau ging er auf eine lange Reise. Damals war das Ziel in derartigen Krisensituationen klar: eine Pilgerreise nach Jerusalem galt es zu unternehmen. Ein Strom von Pilgern, Mönchen und wandernden Abenteurern zog ins Heilige Land, nicht alle aber brachten einen derart umfangreichen Reisebericht mit zurück: Venedig, Palästina, Judäa, Ägypten, auf dem Sinai das Kloster St. Katharina und gar die arabische Wüste waren die Stationen.
Es ist diese Reise zwischen West und Ost in den ersten Jahren des 17. christlichen Jahrhunderts, die einer besonders schönen CD als Quelle der Inspiration gedient hat - oder sollte man sagen, dieses typische globale Expeditionsunternehmen eines fast schon typischen Renaissancemenschen dient nun zwei musikalischen Ensembles aus beiden Welten als Vorwand zu einem heute mehr denn je notwendigen kulturellen Brückenschlag.
In Prag ansässig ist die Cappella Mariana, ein Klangkörper, der eine große Expertise für das Frühbarock erarbeitet hat. Der Dirigent und Musikologe Vojtěch Semerád hat mit seinen versierten Sängern, drei Frauen und vier Männern, acht Motetten und Sätze aus christlichen Messen für diese CD eingesungen, denn vornehmlich ist vom Komponisten Harant liturgische Musik überliefert.
Das andere beteiligte Ensemble ist in Istanbul beheimatet und benennt sich nach dem christlichen Namen der Stadt: Constantinople. Unter der Leitung des Iraners Kiya Tabassian nehmen die drei Musiker und eine Musikerin immer wieder an kulturübergreifenden Projekten teil. Mit ihren klassischen orientalen Instrumenten haben sich er und seine Mitstreiter vor allem die Wiederbelebung der mystischen Musik des Vorderen Orients vorgenommen.
Dieser CD steuern sie ebenfalls acht Stücke bei, die in der Zeit der Reise von Kryštof Harant am Hofe des osmanischen Reiches gespielt wurden. Damals war Istanbul bereits 150 Jahre lang die Hauptstadt des riesigen Osmanischen Reiches, zu dem auch Jerusalem und Ägypten gehörten. Die Stadt war, was man heute wohl multi-kulti nennen durfte, und während der Zeit der europäischen Renaissance ebenfalls durch große Toleranz geprägt. So durften die nicht sehr buchgläubigen Sufis noch ihre mystische Musik zu Hofe aufführen, was wenig später nicht mehr möglich war.
Österliche Pilgerreise von Böhmen nach Jerusalem
Die orientalischen Werke auf diese CD stammen vornehmlich aus zwei Handschriften, von denen eine von einem Sklaven aus Polen in den Diensten der Osmanen in westlicher Notenschrift verfasst wurden. Zwar muss man diese Notenblätter entsprechend der dazugehörigen Liedtexte von rechts nach links lesen, aber immerhin sind sie auf diese Weise bis heute überliefert. Die Texte beruhen auf Psalmen, aber auch Gedichten aus den großen orientalischen Traditionen der klanglichen Lyrik.
Ob sich Kryštof Harant jemals daran versucht hatte, orientalische Tonsysteme zu studieren oder gar mit ihnen zu experimentieren, wissen wir nicht. Es sind von ihm keine orientalisierten Stücke überliefert. Auch diese CD bietet ohnedies keinen Mischmasch der Stile an, sondern ist eine, allerdings klanglich äußerst ausgewogene, abwechselnde Gegenüberstellung von christlichem Chorgesang und Liedern aus dem Orient. Allein sieben Sprachen sind dabei zu hören, Latein, Deutsch, Tschechisch, Französisch und Türkisch, Arabisch und Persisch.
Ein gemeinsames Konzert der beiden Ensembles ging dieser Einspielung voraus. Den Abschluss bildet dann doch ein gemischtes Stück aus dem tschechischen Choral "Otce Buoha nebeského", Vater unser im Himmel, aus der böhmischen Renaissance, und ein Gebetsgesang zu einem Text des großen persischen Dichters Hafiz. Erstaunlich, wie harmonisch die Mischung gelingt. Da wollen wir auch gerne an die Brückenfunktion der Musik glauben, obwohl sicher der hohe Anspruch, mit dieser Einspielung für eine kulturelle Vesöhnung sorgen zu können, ist wohl von der allzu großen Hoffnung getrieben, dem zunehmenden gegenseitigen Unverständnis zwischen Orient und Okzident etwas entgegenzusetzen.
Nein, das wird eine CD allein kaum leisten können. Aber vielleicht ist es schon ein sehr großer Gewinn, wenn man als Hörer dieser schönen Musik zweier Weltkulturen für sich allein das Eingeständnis abringt, wie sehr das Unverständnis schon bei einem selbst gewachsen ist. Diese gelungene Gegenüberstellung des kulturellen Erbes aus Ost und West kann uns nämlich immerhin daran erinnern, dass uns letztlich weniger trennt, als man so manches Mal glauben kann - und ja, eine bessere österliche Botschaft gäbe es wohl kaum. (mm)
Alle Angaben zur CD:
PILGRIMAGE
Musikalische Reise von Kryštof Harant nach Jerusalem
Cappella Mariana – Ensemble Constantinople
unter der Leitung von Vojtěch Semerád und Kiya Tabassian
SU 4350-2
Spieldauer 74:49
Hörbeispiele unter: https://www.supraphon.com/album/833429-pilgrimage-musical-journey-of-kry...
weitere Informationen zu den beiden Klangkörpern:
Cappella Mariana: https://www.cappellamariana.com/
Constantinople: https://constantinople.ca/en/
Auf der Burg Pecka bei Jičin ist eine Dauerausstellung über das Leben des Kryštof Harant eingerichtet: https://www.hradpecka.cz/cs/o-hradu/krystof-harant/