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Der Autor

Gert Loschütz wurde als "der David Lynch unter Deutschlands Romanautoren" bezeichnet, viele seiner Texte thematisieren das Unheimliche. Er wird aus seinem hoch geschätzten Roman Dunkle Gesellschaft lesen, für den er 2005 auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises gewählt wurde. Er ist auch Verfasser von zahlreichen Theaterstücken, Hörspielen und Fernsehspielen.

Gert Loschütz wurde 1946 in Genthin (Sachsen-Anhalt) geboren, 1957 übersiedelte die Familie nach Hessen. 1968 wurde er zur Tagung der Gruppe 47 auf Schloss Dobříš eingeladen, die jedoch wegen des Einmarschs der Truppen des Warschauer Paktes nicht stattfinden konnte. Gert Loschütz lebt in Berlin.

​Im November 2016 ist er Stipendiat des Prager Literaturhauses.

 

 

Bildnachweis:
Björn Steinz
| | | 10.11.2016

9. November 2016

4.

Um halb sechs den Laptop eingeschaltet, die US-Wahl. Trump führt, zum Schrecken der im Studio versammelten Experten (darunter des ehemaligen Botschafters in Washington) mit 244 zu 209 Wahlmännerstimmen. Damit ist klar: er wird gewinnen. Gegen neun, als ich den Laptop erneut einschalte, die Gewissheit. Clinton hat die Niederlage bereits eingestanden. Auf dem Schirm das Bild des selbstsicher grinsenden Siegers, und auf einmal wird, als reichte es jetzt, der Bildschirm schwarz, der Laptop schaltet sich aus. Er weigert sich weiter mitzuspielen. Zur großen Katastrophe kommt die kleine.

         Draußen, vorm Fenster, das gelb leuchtende Laub der Slaweninselbäume, die vom Wirbel des Wehrs mit weißen Schaumschlieren durchzogene Moldau, die schöne Häuserfassade der gegenüberliegenden Uferstraße (Janackovo?), der noch immer in unterschiedlichen Herbstfarben leuchtende Petrín mit der in diesem Licht fast weißen Hungermauer - alles sonnenüberglänzt, heiter, und drinnen, am Schreibtisch, Panik. Der Laptop bleibt tot. Was, wenn er sich mit all den in ihm eingeschlossenen Arbeiten nicht wieder zum Leben erwecken lässt? Dann, nach einer halben Stunde, die Erlösung: Ich habe, was ich sonst nie tue, am Abend die Stromzufuhr unterbrochen, auf die der ramponierte Akku angewiesen ist.

         Der Vereinfacher also, der wie das ebenfalls blondierte Großmaul aus Holland schon vom Erscheinungsbild her so lächerlich ist, dass es einem peinlich wäre, mit ihm gesehen zu werden, weshalb man sich nicht vorstellen kann, dass jemand ihn ernst nehmen könnte, und der vielleicht gerade wegen der ästhetischen Zumutung, die er darstellt, zum Helden der Deklassierten avanciert ist, die sich in seinem Auftreten, seiner Fratze, seinen wüsten Sprüchen wieder erkennen.

 In Berlin, wie ich höre, Kälte, Schneeregen, Wind.

         Und da über dem Petrín nach Unwetter aussehende Wolken aufziehen, gehe ich am Nachmittag, bevor es auch hier schlechter wird, noch einmal hinaus, über die Jiráskuv-Brücke nach Smíchov, durch Straßen mit niedrigeren Häusern als in Nove Mesto, wo ich meistens herumgehe, graueren auch, zum ersten Mal, ohne ständig auf andere Touristen zu stoßen, an riesigen Schuhschachteln ähnelnden Einkaufskästen vorbei, dann unter Autobahnschleifen hindurch (da geht’s nach Pilsen, da nach Chomutov und Karlovy Vary), und stoße plötzlich auf die Mozartova, an deren Eingang ein Eckhaus steht, eine Art Flatiron, mit der zur anderen Seite wegführenden Duskova, über der Tür ein knallrotes Reklame-Schild mit der Zeichnung einer Stäbchen haltenden Frau, Yo-Sushi-Grand steht daneben.

         Ich steige die Mozartova hoch, aber kurz bevor sich der Weg zur Villa Bertramka hin verengt, kehre ich um, das Museum ist heute, Mittwoch, ohnehin geschlossen. Hier, in Smíchov, befindet sich auch die Kreuzung, an der Jiri Orten an seinem 22. Geburtstag von einem deutschen Rot-Kreuz-Wagen angefahren und so schwer verletzt wurde, dass er zwei Tage darauf, ohne das Bewusstsein wieder zu erlangen, starb. Das Personal des Allgemeine Krankenhauses am Karlsplatz, zu dem ihn der Fahrer brachte, hatte sich, als es anhand seiner Papieren merkte, dass er Jude war, geweigert, ihn aufzunehmen, so dass, da der Rot-Kreuz-Wagen schon weitergefahren war, erst die städtische Ambulanz gerufen werden musste, um ihn in das Juden vorbehaltene, ebenfalls nahegelegene Katerinky Hospital zu bringen.

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