Prag - Mit einem Paukenschlag beginnt das Konzert im Prager Divadlo Archa - sozusagen. Denn als John Cale die Bühne betritt, die Geige anlegt und über die Saiten streicht, beginnt sich der Spannungsbogen zu lösen, mit dem das Konzert eingeleitet wurde.
Die kaum erträgliche chaotische Vormusik vom Tonband, in die Cales Band dann live eingestiegen ist, findet nun ihr Ziel und ihre eigentliche Bestimmung:
"Venus in Furs". Ein Velvet-Underground-Klassiker. Vielleicht sogar d e r Velvet-Underground-Klassiker überhaupt. Aus dem Jahr 1967.
Ein gelungener Konzertbeginn, keine Frage. Wer würde nicht den hypnotisierenden Klängen dieses Meisterwerks erliegen. Mit Herzblut von den jungen Musikern der Band gespielt, inbrünstig gesungen von John Cale, der dazu seine Geige spielt.
Bei John Cale spielt John Cale die erste Geige und ist unangefochtener Leithammel
Doch was die Zuhörer im Publikum natürlich wie ein hochwirksames Aphrodisiakum betört, steigt den böswilligen Herren Kritikern dann womöglich doch wieder wie billiges Nuttenparfüm in die Nase. Warum zum Teufel beginnt John Cale sein Konzert mit Venus in Furs? Hat er nicht in seinen gut 40 Jahren Musikerkarriere andere große Sachen geschaffen? Was will er uns damit sagen?
Ist der Song denn überhaupt von ihm? Der Song ist nicht von ihm. Geschrieben hat ihn laut 'Bananenplatte': Lou Reed. Tritt der 64-jährige Cale hier also als Erbwalter von Velvet-Underground auf und will seine Ansprüche auf die geistige Urheberschaft auf Samtpfötchen und Stöckelschuhen unter die Leute bringen?
Man fühlt sich bei dem Gedanken unangenehm erinnert an Paul McCartney, der sich nicht zu blöd war, neuerdings auf seinen Platten den Songwriter-Klassiker Lennon/McCartney in McCartney/Lennon zu verdrehen.
Doch wahrscheinlich sind das Gedanken, die sich John Cale gar nicht macht. Er ist gut in Form, ergraut, sicher, wer im Publikum wäre das nicht, doch vor allem ist zwar John Lennon lange tot, aber eben nicht Lou Reed. Denn der konzertiert eine Woche später im Prager Kongresszentrum. Und der spielt mitunter auch gern noch "Venus in Furs".
Gruß an den Leitwolf oder einfach Freude an Gutem von Vorgestern
Und da der Waliser Streichervirtuose das weiß, schließlich haben sie in Prag den gleichen Veranstalter (ein gelungener Coup übrigens der Agentura 10:15), will er hier dem ewigen Rivalen und einstigen Velvet-Leitwolf vielleicht einfach nur einen Gruß hinterlassen, in Form einer hündisch ins Revier gesetzten Duftmarke. Was sein gutes Recht ist, wer könnte es ihm verübeln. Zumal wenn man dabei auf diese Weise gleich zum Auftakt einen so hochkarätigen Klassiker als Live-Juwel geboten bekommt.
Und zum Glück, es wird auch insgesamt ein interessantes Konzert, mit dem Cale das Publikum zu begeistern weiß, ohne sich ihm anzubiedern. Und John Cale hat wahrlich auch Einiges selbst geschaffen.
Es gibt sie doch, die echten Cale-Klassiker: "Helen of Troy", "Leaving it up to You", als Zugabe später "Pablo Picasso" und "I keep a Close Watch". Dazwischen Songs von den inzwischen vielen 'neueren' Platten, wie von der aktuellen BlackAcetate oder von der 2003er HoboSapiens die Songs "Horizon" und das etwas meditative "Magritte". Und dann doch noch ein zweiter Velvet-Song: "Femme Fatale".
Cale zeigt sich dabei in seinen Live-Versionen weiterhin vielseitig und kreativ, manchmal gar mit einem martialischen Sound, wobei sein expressiver Gesang mitunter in Kreischen umschlägt und er seinen Hörern wohl auch mal eine Gänsehaut beschert.
John Cale gastierte seit Anfang der 90er Jahre bereits etliche Male mit unterschiedlichen Programmen in Prag, teils solo, teils mit Band, und 1993 sogar noch einmal zusammen mit Lou Reed und den kurzfristig wiederbelebten Velvets.
So darf man hoffen, dass das Konzert im Divadlo Archa nicht das letzte in der tschechischen Hauptstadt war. Aber John Cale nach Prag zu bekommen ist wahrscheinlich ganz einfach: Man muss nur Lou Reed in die Kongresshalle bestellen. (nk)