Zuerst sah ich das Feuerwerk. Ich habe noch nie so viele Feuerwerke gesehen wie in Prag, meistens wunderschön. Die Menschen auf der Straße sangen die Hymne, „Kde domuv muj“, und dann die zweite Strophe, die slowakische. Ich bin beeindruckt, überwältigt. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass das Prag ist, die Stadt, in der ich nun schon seit knapp vier Monaten lebe. Doch es ist Prag, meine Stadt, da im Fernsehen. Ja, im Fernsehen, ich muss gestehen, ich war nicht auf der Demo. Arbeit, kochen, einkaufen, solche Sachen, dann war es 6 Uhr abends. Ich fahre los, Tramvaj 18, so wie immer, hier in Petriny ist es ganz ruhig.
Ich frage meine tschechische Mitbewohnerin, welcher Jahrgang sie ist, ob sie sich erinnern kann an damals, den 17.11.1989. Kann sie, sie war 10 damals, Freiheit verstand sie, wenn auch nicht, was das genau bedeutet. Was es konkret bedeutete für eine Zehnjährige war diese Vorstellung, alles sagen zu dürfen, alles, was man will. Man kann sich ausmalen, wie man das in diesem Alter interpretiert. Als wir bei Narodni Trida ankommen, ist alles vorbei, Vaclav Havel hat gesprochen, Joan Baez hat gesungen, ich ärgere mich über mich. Etwa eine Stunde lang. Dann sehe ich Dinge, die mir dennoch gefallen, und die zu tun haben mit diesem symbolischen Tag der Unabhängigkeit der Tschechoslowakei.
Ich sehe ein riesiges Polizeiaufgebot in einer Seitenstraße hinter dem Nationaltheater, die Polizisten haben ihre Arbeit getan, sie – ich kann es nicht genau erkennen – essen Donuts?! Ich sehe auf der Nationalstraße, die am Theater vorbeiführt, wie die Ereignisse von vor 20 Jahren nachgestellt werden, die Polizisten tragen die Uniformen und Helme von damals, die größtenteils studentischen Demonstranten rufen „Svoboda“ – Freiheit – und „Mame hole ruce“ – Wir haben leere Hände – um zu signalisieren, dass sie unbewaffnet sind. Das Ergebnis ist bekannt. Sie wurden brutal niedergeknüppelt. Doch innerhalb von wenigen Wochen ist der Widerstand gebrochen, Vaclav Havel führte das Land im Jahr darauf zu freien Wahlen.