Prag - Günstige Benzinpreise sind nur ein Grund, warum die Sachsen gerne über die Grenze nach Tschechien fahren. Aber auch die Tschechen kommen regelmäßig zum Einkaufen nach Deutschland. Die große Produktauswahl und die Qualität der Waren locken die tschechischen Besucher in den Freistaat Sachsen.
Durchschnittlich 200 Euro geben die Kunden aus dem Nachbarland in Dresden pro Einkaufstag aus - das war das Ergebnis einer Studie der Industrie- und Handelskammer (IHK) Dresden, die sich mit dem Einkaufsverhalten von tschechischen Käufern in Dresden, Heidenau und Zittau beschäftigt hat. Damit stellt der tschechische Einkaufstourismus einen wichtigen Impuls für den sächsischen Einzelhandel dar, der wie vielerorts mit der Konkurrenz des Online-Shoppings zu kämpfen hat.
Vor allem die Großstadt Dresden, aber auch Bautzen, Görlitz und Chemnitz profitieren von den Kunden aus Tschechien. Seitdem Tschechien im Jahr 2007 dem Schengen-Raum beigetreten ist, hat eine konstante Preisangleichung mit anderen EU-Ländern stattgefunden. Und obwohl die Tschechen wegen eines gefühlten Preisvorteils nach Deutschland kommen, ist ihr Heimatland statistisch gesehen günstiger. Im Gegensatz zu den Deutschen, die in Tschechien einkaufen, ist für die tschechischen Besucher weniger der Verkaufspreis als das Preis-Leistungs-Verhältnis entscheidend. Die Tschechen schätzen die Qualität der hiesigen Produktpalette. Vor allem Markenbekleidung und Elektronikartikel finden sich in den Einkaufskörben der tschechischen Besucher, aber auch Drogerie- und Kosmetikprodukte. "Obwohl es auch bei ihm Persil gibt, hält ein Tscheche das deutsche Produkt oft für besser", erklärte Ilona Roth, Geschäftsführerin der IHK Chemnitz, bereits 2013 der (inzwischen eingestellten) deutschsprachigen Wochenzeitung Prager Zeitung. Tatsächlich monieren längst nicht nur mehr tschechische Verbraucherschützer, allen voran die tschechische EU-Kommissarin Věra Jourová, inzwischen auch offiziell auf EU-Ebene, dass insbesondere Lebensmittel-Markenprodukte "im Osten" oft eine andere, minderwertigere Zusammensetzung haben als die gleichen Produkte "im Westen".
Aber der EU-Beitritt Tschechiens hatte neben der Preisangleichung noch einen anderen Effekt. Seit dem 1. Mai 2011 gilt für alle Tschechen die uneingeschränkte Arbeitnehmerfreizügigkeit. Besonders in grenznahen Regionen pendeln daher immer mehr Menschen nach Deutschland. Der Anreiz: Die deutschen Löhne sind im Schnitt etwa dreimal so hoch wie in Tschechien. Deswegen schauen sich immer mehr Tschechen beispielsweise nach günstigem Wohnraum in Chemnitz um, der auf entsprechenden Portalen im Internet zu finden ist. Zu einer veränderten Arbeitssituation im sächsischen Einzelhandel hat dies jedoch nicht geführt. Da viele Tschechen Englisch oder sogar Deutsch sprechen, können und wollen sie die normale Serviceberatung vor Ort in Anspruch nehmen. Ältere Tschechen hingegen haben durchaus Verständigungsprobleme. Durch die Arbeitnehmerfreizügigkeit wäre prinzipiell der Weg für tschechische Verkaufskräfte frei. In den grenznahen Gemeinden in Bayern sind tschechische oder tschechisch sprechende Verkäufer und Auszubildende längst nichts Ungewöhnliches mehr. In Sachsen reicht dafür aber anscheinend die Nachfrage (noch) nicht aus. (dap)