Samstagabend 17.45Uhr. Ich bahne mir meinen Weg durch die Menschenmassen an der Metrostation Staroměstská. Ich hatte ja mit viel gerechnet. Mit vielen. Aber nicht mit so vielen. Es ist Volksfeststimmung. Massen strömen in Richtung Staroměstské Náměstí. Der Grund: Heute Abend wird der Weihnachtsmarkt eröffnet und der große Weihnachtsbaum zum Leuchten gebracht. Ich treffe mich vor 15 Minuten mit Freunden unter den Bäumen am Rande des Platzes.
Von unserem Standpunkt aus am Rande des Geschehens erahnen wir die Silhouette des Baumes, um den sich heute Abend alles dreht. In Heerscharen sind sie gekommen, um ihn in Lamettaregen und jeder Menge Blingbling aufgehen zu sehen. Angeregt unterhalte ich mich über Adventsbräuche in Frankreich, als es auf einmal dunkel wird. Die Lichter auf dem Staroměstské Náměstí und die Beleuchtung der umliegenden Bäume gehen aus. Alle Blicke wenden sich in Richtung Theinkirche. Vor ihr steht der berühmteste Baum Prags. Auf einmal fallen mir all diese Teufelshörner auf, die kleine Kinder tragen. “Sowas mit Engel und Teufel, was Traditionelles”, versucht mich eine Freundin aufzuklären. Mmh. Musik ertönt. Ich höre sie jedoch nur vage. Von meinen Mitbewohnerinnen erfahre ich später, dass es auch Reden gab. Das alles erscheint mir zweitranging. Ich höre nichts mehr außer “Oh” und “Ah” und einem gelegentlichen “Ui”.
Was sich nun vor meinen Augen abspielt, ist mit nichts zu vergleichen, was ich an Dekoration je sah. Es erinnert mich jedoch merkwürdigerweise an ein Spiel aus meiner Montessori-Kindheit. Holzringe in verschiedenen Farben und Größen mit einem Loch in der Mitte galt es auf einem Holzstab aufzureihen. Anstelle von Holzringen sind es heute Abend goldene Lichterketten, die Ring für Ring den Baum erhellen. Von innen heraus scheint er rot. Harmoniert immerhin mit den Teufelshörnern. Überdimensionale Christbaumkugeln hängen an lichten Ästen. Natürlicher Nadelschmuck wird vollkommen überbewertet in Zeiten christbaumkugelnder Massenproduktion. Den krönenden Abschluss des Glitzerspektakels bildet ein bläulich schimmernder Eisstern. Als wir uns später durch die Menschenmassen kämpfen und uns langsam dem Baum nähern, erkenne ich weitere Details des Dekorationswahns. Eiszapfen, durch die blaue Blitze jagen. Und die Kugeln sind regelrechte Kugelbäusche. “Pretty, ähm, impressive”, nicke ich meinen französischen Freunden zu und denke mir: O Tannenbaum, wie grün waren deine Blätter einst. Wo sind sie jetzt?