Straßburg/Prag - Vorbemerkung: Gott ist tot – der Ausspruch hat es in sich. Nietzsche wollte damit ausdrücken, dass der Mensch sich einer überweltlichen Leitfigur entledigt hätte und nun – mit allen Konsequenzen – sein Schicksal selbst in die Hand genommen habe. Es bleibt natürlich jedem Leser überlassen, inwieweit er der These über die Sterblichkeit des Unsterblichen zustimmt. Wenn aber jemand stirbt, der Gott heißt, erhält jede Aussage über ihn und sein Leben eine seltsame Schwere, oder wird – schlimmer noch – zu einem flachen Witz. Bůh! Das wollen wir nicht. Trotzdem möchten wir davon berichten, dass Gott gestorben ist, wohl wissend, dass ab sofort jeder Satz unfreiwillig beim Leser etwas Anderes erzeugt, als er besagt.
Ich bin Gott begegnet – wenn auch nur kurz und nur ein einziges Mal. Ich fertigte mir ein Bildnis von ihm an. Und eines mit ihm, für meine Mutter. Er ließ es sich gefallen, wie er es sich immer gefallen ließ, wenn sich seine Anhänger um ihn scharrten. Dann konnte er das Gefühl vermitteln, dass er die Menschen aufrichtig liebte. Ich muss zwar sagen, dass ich damals vor bald zwanzig Jahren nicht auch zu einem seiner Jünger geworden bin, trotzdem: Wem eine Begegnung mit Gott widerfuhr, der kann nicht anders, als berührt zu sein von der Nachricht seines Todes.
Gott war stets freundlich und fröhlich – und dabei auch immer etwas weltfremd. Natürlich nicht im Sinne, dass ihm die Welt fremd war, im Gegenteil, er hatte die Möglichkeiten, die sich ihm in seiner Welt boten, immer bestens genutzt. Aber es schien, als wandele Gott ein wenig über den Wogen der Zeitläufte. Er konnte trotz der hohen Mauern zwischen den Welten ungehindert von Ost nach West hin und her wechseln.
Gott wurde im westböhmischen Pilsen geboren, als das Land unter fremder Besatzung stand. Die Mutter Gottes hieß Marie, der Vater des Knaben war Handwerker und sorgte dafür, dass sein Sohn ebenfalls ein Handwerk erlernte. Gott wurde Starkstromelektriker. Doch schon früh gesellte sich der aufgeweckte Junge unter Gleichgesinnte. Im jugendlichen Alter tauchte er zum ersten Mal in den Musentempeln der Hauptstadt auf und erstaunte die Älteren mit seinem Talent. Nach der Lehre folgte Gott schließlich seiner inneren Stimme. Die Fürsprache eines frühen Mitstreiters trug ihn ins Konservatorium auf dem rechten Ufer der Moldau. Er übte fleißig und bald folgten viele öffentliche Auftritte und schließlich große Tourneen, die ihn weit in der ganzen Welt herum brachten.
Das war nicht selbstverständlich, kam Gott doch aus einem Land, dass sich als Arbeiterparadies verstand. Wen dieses absurde Wortgebilde aus zwei sich paradox gegenüberstehenden Begriffen – Arbeit und Paradies – nicht schon schreckt, den ließ die Wirklichkeit verzweifeln. Wie viel Bespitzelung, Einschränkung und auch Verstellung waren nötig, um den Zustand, den diese beiden zusammengepressten Worte beschreiben, aufrechtzuerhalten? Gott litt an dieser Situation: immer mal wieder wollte er das gelobte Land verlassen, entschied sich aber zu bleiben.
Gott machte Kompromisse. Er unterschrieb 1977 sogar eine regimetreue Erklärung gegen die Jünger der Freiheit. Als schließlich deren Trompeten die Mauern zum Einsturz brachten, erhoben so manche von ihnen Vorwürfe gegen Gott. Als Gott aber am 4. Dezember 1989 auf einer Kundgebung mit dem Bürgerrechtler und Liedermacher Karel Kryl vor 200.000 Menschen erschien und die Nationalhymne sag, war alles vergeben. Die kritischen Stimmen verstummten beim Ertönen der hellen Stimme Gottes. Gott gewann allein 42mal den tschechischen jährlichen Publikumspreis „Goldene Nachtigall“ und wurde fortan von seinen Anhängern liebevoll „Mistr“, Meister, genannt.
Nicht, dass Gott seine Hände in Unschuld wusch. Für ihn war dieses Kapitel einfach abgeschlossen. Gott rührte auch nicht an den Akten, die der Geheimdienst StB über ihn angefertigt hatte und ihm wie eine Schlangengrube schienen: Er wolle gar nicht wissen, wer da was über ihn gesagt habe, denn dieses Wissen zerstöre nur schöne Illusionen, sagte er einmal dazu. Ist das weltfremd? Oder eben doch im Gegenteil: der Welt und ihrer Gegenwart zugewandt? Darüber mögen andere den Stab brechen, lag es doch im Wesen Gottes, immer ein wenig über den Dingen zu schweben, ja dem Übersinnlichen zuzuneigen. Für den „Club der Skeptiker Sisyfos“, einer Vereinigung von tschechischen Wissenschaftlern, die für die Rationalität und gegen Verschwörungstheorien kämpfen, boten die Schriften Gottes Anlass genug, ihm einen ausgeprägten Hang zur Esoterik zu bescheinigen. Gott wird in dem Interviewbuch „Wie Gott es sieht“ aus dem Jahr 1992 mit Aussagen über Geheimlogen, die diese Welt ins Chaos stürzen wollten und einer Warnung vor einer totalitären Globalisierung zitiert. In einem Zeitungsinterview 2001 sprach Gott davon, dass unser Planet nicht nur physisch verwundet ist, sondern vor allem daran leide, dass seine Energie spirituell geschwächt sei.
Gott ist nun am 1. Oktober von uns gegangen. Ein Staatsbegräbnis im Veitsdom auf der Prager Burg wird Gott – entgegen erster Absichten der amtierenden tschechischen Regierung – nicht zuteil. Kritik daran kam insbesondere vom Religionswissenschaftler Tomáš Halík. Der bezeichnete das Vorhaben als „wahnsinnige und geschmacklose“ Idee und „moralischen Kitsch“, der nur dem Populismus von Staatspräsident Miloš Zeman und Ministerpräsident Andrej Babiš diene. Dieser Gott, der ein Produkt der Unterhaltungsindustrie aus der Zeit der sogenannten Normalisierung nach dem Prager Frühling von 1968 ist, solle mythisiert werden, um die Dissidentenbewegung und die „wirklichen kreativen Künstler und Bürger, die sich vor der kommunistischen Macht nicht gebeugt haben“ nachträglich abzuwerten. Gott würde so posthum zu einem tragikomischem Botschafter des fragwürdigen nationalen Selbstverständnisses des gegenwärtigen Regimes.
Diese Auferstehung bleibt Gott erspart. Am kommenden Samstag wird der Prager Erzbischof Kardinal Dominik Duka lediglich eine Seelenmesse für Gott im Veitsdom lesen. Alles darüber hinaus hätte ihm auch nicht entsprochen, denn mit Gott geht jemand dahin, der die Gabe hatte, einfach zu tun, was er wirklich wollte, egal, wie die Umstände waren und was sie von ihm einforderten. Fast möchte man sagen, mit ihm geht ein unbeschwertes Gotteskind, das nichts weiter wollte, als zu singen, singen und singen, wie ein früher Weggefährte es ausdrückte, und natürlich auch beliebt und geliebt sein wollte, dabei aber immer freundlich blieb gegenüber allen, auf die er traf, und auch irgendwie immer fröhlich zu sein schien. Vielleicht war er einer der letzten dieser Art, denn Gott ist tot.
Nachbemerkung. Karel Gott war kein Künstlername, er hieß wirklich so. Als er 2003 während einer Regierungskrise in Tschechien sogar für das Amt des Staatspräsidenten ins Gespräch gebracht wurde, winkte er ab: „Jetzt sagen alle Herr Gott zu mir, danach nur noch Herr Präsident – welch’ Absturz“. Das sagte er allerdings in einer Talkshow des deutschen Fernsehens, denn auf Tschechisch funktioniert der Witz gar nicht. Wie all die vermeintlichen Witze zuvor. Auf Tschechisch heißt Gott nämlich Bůh. Und ihm galten auch Karels letzten Worte in seinem letzten Song, den er – vom Krebsleiden gezeichnet – zusammen mit seiner Tochter einspielte und den Hörern – wie so oft in den zumindest besseren Schlagertexten – eine scheinbar hausbackene, aber eben doch auch kluge Lebensweisheit mit auf den Weg gab. Wenn du Gott zum Lachen bringen willst, erzähl ihm deine Pläne, besagt ein bekanntes Sprichwort – bei Karel heißt es nun: „Někdy se ví, co Bůh chystá“ – Manchmal weiß man, was Gott vorhat. (mm)
Redaktioneller Hinweis: Der Nachruf erschien zuerst am 7. Oktober bei Eurojournalist.eu in der Rubrik "Kolumne" und wurde hier leicht gekürzt wiedergegeben.