Prag - Der figurative Akt machte den Sohn aus der Bergmannsstadt in der Frühmoderne bekannt. Mehr und mehr wandte sich František Drtikol seinen Fantasien mit Hilfe von Folie, Schere Licht und Schatten zu.
Eine kleine, aber feine Sonderausstellung würdigt den Pionier der tschechischen modernen Fotografie im Museum für angewandte Kunst (Úměleckoprůmyslové muzeum, neben dem alten jüdischen Friedhof, gegenüber dem rechten Flügels des Rudolfinums).
Tänzerinnen mit endlos langen Beinen und beängstigender Wespentaille, gleich im Dutzend, wie in einem Kaleidoskop angeordnet. Die Proportionen sprechen der anatomischen Wirklichkeit Hohn, Barbie sieht dagegen wie eine Metzgerstochter aus. Dies ist eine der Spielereien, mit denen der Fotograf František Drtikol seine Betrachter in den 1930er Jahren amüsiert. Der Mann hat nicht nur Geschmack, sondern versteht auch sein Fach, das der Sohn aus der Bergarbeiterstadt Příbram (etwa 60 Kilometer süd-südwestlich von Prag) in München gelernt hat.
In der dortigen Kunstgewerbehochschule brachten sie ihm neben dem technischen Handwerkszeug der Fotografie auch Zeichnen, Optik und das sichere Gespür für Licht und Schatten bei. Deshalb wirken seine Fotografien, wie einfach sie auch auf den ersten Blick scheinen, so ungeheuer abgerundet, perfekt. Es gibt kein Detail, das man ihnen hinzufügen oder ihnen wegnehmen möchte.
Neben einigen wenigen Aktfotografien konzentriert sich die Ausstellung auf Drtikols Phase ab 1930, in der er die lebenden Modelle mit einfachsten Mitteln ersetzt und seinem Lieblingsthema, dem nackten Körper auf andere Weise huldigt. Wozu heute Fotoshop dient, wurde damals mit Schere, Lampe und Folie bewerkstelligt. Ein Overheadprojektor lädt den Besucher ein, mittels einiger Folien selbst auszuprobieren, wie einige der interessantesten Fotografien Drtikols entstanden sein könnten. Dieser Blick in seine Werkstatt wird durch einen halbstündigen Dokumentarfilm (tschechisch mit englischen Untertiteln) ergänzt, der kursorisch das Leben des Fotografen abschreitet.
Geboren 1883, im selben Jahr wie Franz Kafka, wendet sich Drtikol dem Beruf des Vaters zu. Nach dem Studium in München, dem dreijährigen Militärdienst bei der österreichisch- ungarischen Armee, später dann dem Einsatz im Ersten Weltkrieg und einem ersten Fotostudio in seiner Heimatstadt landet er schließlich im Prag der Zwischenkriegszeit, wo sein Hunger nach Kultur und Kunst gestillt wird. In der Vodičkova-Straße 7 betreibt er sein bekanntes Fotostudio, er nimmt Schüler auf, unterrichtet und lehrt. Daneben wendet er sich zunehmend der fernöstlichen Mystik zu, er übersetzt tibetanische Texte. Dies ist auch der Schlüssel zu den ausgestellten Fotografien, in denen er der Schönheit von einfachsten Formen konfrontiert mit zumeist weiblichen Körpern nachspürt. Reduktion zum Erkennen des Wesentlichen.
Wenn die Menschen öfter nackt herumliefen, so behauptet er sinngemäß, würden sie sich ihrer Schönheit bewusst – und hätten damit auch ein erfüllteres Leben. Drtikol beschreitet den Weg manches Modernen. Zunächst wendet er sich der Technik zu, bis er diese beherrscht, um mit deren Hilfe nach dem Einfachen zu suchen, um schließlich bei der Suche nach der eigenen Seele zu landen. 1935 verkauft er sein Atelier in der Nähe des Wenzelsplatzes und zieht nach Spořilov, einem Vorort im Prager Süden, wo er sich dem Zeichnen widmet. Nach Begleichung aller Rechnungen sei ihm danach nichts mehr geblieben, behauptet er.
Der 1961 verstorbene Drtikol hinterlässt, wie sich seine Tochter erinnert, ein reichhaltiges Erbe – jedoch nicht materieller, sondern spiritueller Beschaffenheit.
Drtikols Bilder des alten Prags, so wie es etwa Kafka in seinen kürzeren Texten beschreibt, sind leider nur auf einigen Aufnahmen des Dokumentarfilms zu sehen, nicht jedoch in der Ausstellung selbst. Trotz der Aura der Schwarz-Weiß-Fotografie jener Zeit sind die Motive merkwürdig zeitlos. (gl)
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Rubrik: Kultur |
13.12.2013
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Museum für angewandte Kunst verlängert Ausstellung Drtikols / Von Gerd Lemke
Tschechien Online, 13.12.2013
Autor:
Gerd Lemke
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