Prag - Der tschechische Vizepremier und Regionalminister Jiří Čunek, der im Verdacht steht, missbräuchlich Sozialleistungen bezogen zu haben, gerät immer stärker unter Druck.
Die Polizei in Čuneks politischer Heimatstadt Vsetín leitete am Mittwoch ein offizielles Ermittlungsverfahren wegen Betrugsverdachts gegen den Vizepremier ein. Die KDU-ČSL-Senatsfraktion fordert inzwischen den Rücktritt ihres Parteivorsitzenden von seinen politischen Ämtern, wie die Nachrichtenagentur ČTK (Prag) am Abend meldet.
"Der Klub der Senatoren von KDU-ČSL fordert sein Mitglied Jiří Čunek auf, seine Funktionen des ersten Stellvertretenden Vorsitzenden der Regierung der Tschechischen Republik aufzugeben, des Ministers für Regionalentwicklung und gleichzeitig auch die Funktion des Vorsitzenden der KDU-ČSL," zitierte aus der Beschlussfassung der stellvertretende Vorsitzende des KDU-ČSL-Senatorenklubs, Josef Kalbáč, heute gegenüber ČTK.
Jiří Čunek selbst kündigte in einem Interview mit dem Prager Radiosender Impuls an, dass er bereit sei zurückzutreten, wenn er das Gefühl habe, dass die Mehrheit seiner Parteifreunde dies Wünsche. Derzeit allerdings sehe er jedoch keinen Grund zurückzutreten.
Čunek räumt Bezug von Sozialleistungen ein
Am Nachmittag hatte Jiří Čunek auf einer Pressekonferenz (Foto) eingeräumt, von Mitte bis Ende der 90er Jahre staatliche Sozialleistungen bezogen zu haben. Zugleich bestritt er, gegen Gesetze verstoßen oder die Mittel missbräuchlich bezogen zu haben. Ein Teil der 3,5 Millionen Kronen, die er in dieser Zeit auf sein Konto eingezahlt habe, seien ihm nur zur Verwaltung anvertraut gewesen, der andere Teil eigenen Ersparnisse, so Čunek.
Bemessungsgrundlage für die Sozialleistungen seien zudem die Einkünfte und nicht die Ersparnisse des Antragsstellers. Čunek betonte, zu dem fraglichen Zeitpunkt sei er Abgeordneter der Opposition im Stadtrat von Vsetín gewesen, mit einer nicht berufstätigen Ehefrau und vier Kindern. "Ich habe mich verhalten, wie jeder andere Bürger", so Čunek. Und: "Ich empfinde das nicht als ethisches Versagen".
Premier Mirek Topolánek (ODS) erklärte dagegen heute, dass Čuneks Position nicht mehr zu halten sei und dieser die Regierung verlassen müsse, falls Čunek den Verdacht des Missbrauchs von Sozialleistungen nicht schnell und nachweisbar widerlege. "Ich füge hinzu, dass er das in dem historisch kurzen Zeitraum von einigen wenigen Tagen machen muss", so der tschechische Regierungschef.
Čuneks weiters politisches Schicksaal dürfte sich spätestens am kommenden Dienstag entscheiden. Dann trifft das gesamtstaatliche KDU-ČSL-Komitee zusammen, dem Čunek genauere - entlastende - Unterlagen vorlegen will.
Ausgelöst hatte die aktuelle Affäre das öffentlich-rechtliche Tschechische Fernsehen (ČT) am Montag. Einem Bericht des Fernsehsenders nach, hatte Čunek im Jahr 1996 insgesamt 53.000 Kronen staatliche Sozialleistungen erhalten, im Jahr darauf 48.000 Kronen, 1998 dann 51.000 und 1999 insgesamt 40.000 Kronen. Dabei soll es sich um Wohngeld und um Zuschüsse für Familien mit geringem Einkommen gehandelt haben. Im selben Zeitraum allerdings zahlte der heutige Regionalminister offenbar 3,5 Millionen Kronen auf sein Bankkonto ein. (nk/gp)