Prag - In Prag starb am Freitag die Schriftstellerin Lenka Reinerová, die als letzte Vertreterin der deutschsprachigen Literatur in Prag galt.
Über den Tod Reinerovás informierte tschechische Medien am Freitag die Direktorin des Franz-Kafka-Zentrums in Prag, Markéta Mališová.
Lenka Reinerová wurde am 17. Mai 1916 als Tochter einer Deutschböhmin und eines tschechischen Eisenwarenhändlers im Prager Stadtteil Karlín geboren. In einer deutschsprachigen jüdischen Familie aufgewachsen, besuchte Reinerová das deutsche Gymnasium in der Štěpánská-Straße, später arbeitete sie als kommunistische Journalistin unter anderem bei der Arbeiter-Illustrierte-Zeitung.
Als Prag im März 1939 von deutschen Truppen besetzt wurde, war Reinerová gerade bei Freunden in Bukarest, von wo sie zunächst nach Paris floh. Die Flucht vor den Nazis führte Reinerová weiter über Casablanca nach Mexiko. In Mexiko war sie an der Botschaft der tschechoslowakischen Exilregierung tätig und arbeitete eng mit Egon Erwin Kisch zusammen.
Den Zweiten Weltkrieg und Holocaust überlebte Lenka Reinerová als einzige ihrer ganzen Familie, die in Auschwitz ermordet wurde. Nach dem Krieg kehrte sie mit ihrem Mann, dem jugoslawischen Interbrigadisten und Arzt Theodor Balk nach Europa zurück, zunächst nach Belgrad, wo 1946 ihre Tochter Anna geboren wurde. Drei Jahre später ging Reinerová wieder in ihre Geburtsstadt Prag zurück. Im Zuge der stalinistischen Säuberungen rund um den Slánský-Prozess wurde Reinerová Anfang der 50er Jahre für 15 Monate im Gefängnis in Prag-Ruzyně inhaftiert. Im Jahr 1956 erschien ihr erstes Buch "Grenze geschlossen".
In den 60er Jahren arbeitete sie als Chefredakteurin der Zeitschrift "Im Herzen Europas". Nach der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 durch Truppen es Warschauer Pakts wurde sie aus der KP ausgeschlossen und zudem für mehrere Jahre mit Publikationsverbot belegt. Die Auflage des Buches "Alle Farben der Sonne und der Nacht" aus dem Jahr 1969 wurde eingezogen. Das Buch befasste sich mit der Haftzeit in den 50er Jahren. Reinerová verlor zudem ihre Verlagsarbeit und war bis 1989 vor allem als Übersetzerin und Simultandolmetscherin tätig. Seit Anfang der 80er Jahre erschienen einige ihrer Bücher im Berliner Aufbau-Verlag in der DDR. Seit 1989 erschienen zahlreiche Erinnerungsbücher und Erzählungen. Oft erinnerte sie sich dabei an Prager Freunde und Bekannte: Kafka, Brod, Goldstücker, Foglar und besonders den "rasenden Reporter" Egon Erwin Kisch.
Nach der politischen Wende erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen: 1999 wurde sie in Weimar mit dem Schillerring der Deutschen Schillerstiftung geehrt, später erhielt sie die Goethe-Medaille, die tschechische Verdienstmedaille und die Ehrenbürgerwürde der Stadt Prag. Im Jahr 2006 wurde Lenka Reinerová von Bundespräsident Horst Köhler mit dem Großen Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland für ihr Lebenswerk als Grande Dame der deutschsprachigen Literatur in Tschechien ausgezeichnet.
Zuletzt hatte sie sich mit außenpolitischer Unterstützung für das Wiederbeleben der Tradition deutschsprachiger Literatur in Prag eingesetzt und das Prager Literaturhaus deutschsprachiger Literatur mitbegründet. Im Januar war zum Holocaust-Gedenktag in Berlin eine Rede von Reinerová vor dem deutschen Bundestag verlesen worden. Aus gesundheitlichen Gründen konnte sie an der Gedenkveranstaltung im Reichstagsgebäude nicht persönlich teilnehmen.
Lenka Reinerová erlag am Freitag in ihrer Wohnung in Prag einer schweren Krankheit, mit der Reinerová seit 40 Jahren kämpfte, wie der Server Novinky.cz meldet. (nk)