Most/Prag - Das hätte sich der Schweinfurter Baumeister Jakob Heilmann wohl nicht im Traum einfallen lassen: Sein im Jahre 1517 begonnener Kirchenbau musste mehr als vier Jahrhunderte später dem Kohlebergbau weichen.
Immerhin - während der historischen Stadt Brüx der Abriss bevorstand, blieb der Dekanatskirche Mariä Himmelfahrt dieses Schicksal erspart: Sie wurde 1975 "einfach" um exakt 841 Meter versetzt. Die Kirche ist nach langjährigen Renovierungsarbeiten heute wieder der Öffentlichkeit zugänglich.
Im Jahr 1515 fiel die Stadt Brüx einem vernichtenden Brand zum Opfer. Bis zu diesem Zeitpunkt bestand die Kirche Mariä Himmelfahrt als eine frühgotische, dreischiffige Basilika. 1517 wurde nach Plänen des Baumeisters Jakob Heilmann aus Schweinfurt mit dem Bau einer neuen Kirche begonnen. Der Bau wurde als ein monumentales Dreischiff mit mächtigen Pfeilern konzipiert. Dominierende Elemente sind die achtseitigen Pfeiler und die Bogenrippengewölbe.
Kirche mit bewegter Geschichte
Erst nach dem Abschluss der Bauarbeiten 1549 entstanden die Renaissanceportale, die Emporenreliefe, das westliche Treppenhaus sowie die Turmhaube. Von der ursprünglichen Kirche blieb als Altarbestandteil das Bild der Madonna von Brüx erhalten, ein Werk der böhmischen Malerschule aus dem 14. Jahrhundert. Die innere Ausstattung der neu errichteten Kirche erfolgte bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts im Stil des Historismus.
Im Jahr 1964 war aus Gründen des Kohlebergbaus der Abriss der historischen Stadt Brüx beschlossen worden. Die Stadt sollte schöner und moderner, so das Versprechen, weniger Kilometer südöstlich neu aufgebaut werden.
Dazu Patrick Hamouz in einem Beitrag für Radio Prag: "Im Jahr 1967 begann die Zerstörung des alten Most. Bereits drei Jahre zuvor, unmittelbar nach der Regierungsentscheidung, hat man begonnen, wenige Kilometer südöstlich ein neues Most aufzubauen: die Stadt hat mittlerweile etwa 70.000 Einwohner. Dass dieses neue Most eine ’sehr sympathische’ Stadt sei, wie die Kommunisten versprochen hatten, wird heute kaum jemand behaupten. Plattenbauen soweit das Auge reicht, in mehr oder weniger gutem Zustand.
Nur auf Druck der Öffentlichkeit beschloss die tschechoslowakische Regierung 1971 dann die Rettung der Kirche durch Transfer. Vier Jahre später wurde das einzigartige Vorhaben der Versetzung der Kirche um 841 Meter an einen neuen Standort dann durchgeführt.
Zur spektakulären Versetzung des Gotteshauses noch einmal Patrick Hamouz: "Zur Rettung der Kirche kamen mehrere Alternativen in Frage. Die Kirche in Einzelteile zu zerlegen und an neuer Stelle wieder aufzubauen wäre jedoch außerordentlich kostspielig gewesen, zudem wäre der Denkmalswert des historischen Gebäudes rapide gesunken. Die zweite und einfachste Variante sah vor, die Kirche an Ort und Stelle zu belassen, auf einem Kohlepfeiler inmitten des Tagebaus. Damit wäre sie jedoch für die Öffentlichkeit auf Jahrzehnte hinaus unzugänglich geblieben. Man entschied sich deshalb im Jahre 1970 für eine Verschiebung des 10.000 Tonnen schweren Bauwerks auf einer Bogenstrecke um genau 841,1 Meter. Fünf Jahre dauern die Vorbereitungen. Die Einrichtung, die Fenster und der Turm werden für den Transport entfernt. Alle statisch wichtigen Teile werden in riesige Stahlklammern gefasst. Dann wird das ganze Gebäude von seinem historischen Fundament abgeschnitten und mit Schienen unterlegt. 53 hydraulische Wagen werden eigens für die aufwändige Aktion konstruiert. Die Kommunisten warfen abermals die Propagandamaschine an: die Kirchenverschiebung als herausragendes Beispiel sozialistischer Ingenieurskunst." (Videos)
Dauerausstellung dokumentiert Geschichte und Untergang des alten Most
Die Kirche wurde an ihrem neuen Standort übrigens gedreht, daher weicht ihre heutige Ausrichtung von der ursprünglichen Lage um 90 Grad ab. Der Sakralbau befindet sich heute in der Verwaltung des Nationalen Denkmalamtes (NPÚ) und beherbergt die Dauerausstellung "Proměny napříč staletími", die der wechselvollen Geschichte der alten Stadt Brüx während mehrerer Jahrhunderte gewidmet ist.
Die Exposition erstreckt sich im Kirchturm über mehrere Stockwerke. Ein besonderer Schwerpunkt gilt selbstverständlich dem Abriss des alten Brüx. Kurios: Einen Teil der Abbrucharbeiten übernahm damals ein Filmteam der amerikanischen Filmgesellschaft Metro-Goldwyn-Mayer für die Produktion des Hollywoodstreifens "Die Brücke von Remagen". Den Kampf um die Innenstadt von Remagen drehte das Filmteam in dem Untergang geweihten Most. Filmtechniker sprengten während der Dreharbeiten reihenweise Gebäude, während dazu die Filmsoldaten Krieg spielten.
Auch die Vorbereitung und Versetzung des Jahrhunderte alten Bauwerks wird anschaulich dokumentiert.
Inzwischen wird Mariä Himmelfahrt auch hin und wieder für Gottesdienste genutzt. Beliebt ist die Kirche heute besonders bei Brautpaaren, die eindrucksvollen Räumlichkeiten können sowohl für kirchliche als und standesamtliche Trauungen gemietet werden. (nk)