Prag - Viele Zuschauer wussten nach der Vorstellung nicht so recht, was sie denken sollten. Und viele drückten sich dann auch dementsprechend vorsichtig aus. Wild sei es gewesen, war im Foyer etwa zu hören. Vom Kulturhaus in Niederanven, wo "kaFka" enstanden ist, hatte wahrscheinlich auch kaum jemand gehört. Es steht im Großherzogtum Luxemburg, vor den Toren der gleichnamigen Hauptstadt. Und so geschah es denn, dass eine multimediale Performance auf die Bretter des ehrenwerten Theaters Divadlo Komedie landete, wo sie dann deplaziert wirkte. Eine Off-Theater- Bühne wäre dem eher gerecht geworden.
Der deutsche Schauspieler, gleichzeitig auch Regisseur von "kaFka", war in die Welt der Tagebücher des berühmten Prager Schriftstellers eingetaucht. Seine Auswahl von Eintragungen mixte er mit schwerem politischen Stoff; so etwa in der Mitte der anderthalbstündigen Vorstellung, als er über den Umweg Todesstrafe im Königreich Saudi Arabien landete, um die deutschen Waffenexporte dorthin anzuprangern. Franz Kafka hatte sich in seinen Fantasmen durchaus mit diesem Problem - der Todesstrafe, nicht der Rüstungsindustrie - herumgeschlagen und den bemerkenswerten Text "In der Strafkolonie" geschrieben. Diese Brücke konnte man also getrost schlagen.
Kafkas "Wunsch, Indianer zu werden" blieb außen vor
Schwerer war es da schon, die Projektion einer wilden Schießerei aus einem Sam-Peckinpah-Western einzubauen. Kafkas "Wunsch, Indianer zu werden" blieb außen vor. Die Bösen waren diesmal mexikanische Banditen, die trotz erdrückender Überzahl reihenweise von vier unerschrockenen Revolverhelden niedergestreckt wurden. Damit wollte Martin Engler auf unsere unterschwelligen Aggressionen gegen die Migrantenströme aufdecken. Dumm nur, dass er das explizit tat und seine politischen Botschaften die Form platter Agitation annahmen, aufgehängt im Leeren, denn mit Kafka hatte das nun nichts mehr zu tun. Nun denn, in Prag ist man derlei beliebigen Umgang mit der "Marke" Kafka gewöhnt und hat schon über ganz andere Dinge hinweggesehen.
Schließlich durfte das Publikum sich noch an einem Interview mit dem hochbetagten Heinz von Foerster erfreuen, dem Vordenker der Kybernetik und Maschinensysteme. Seine Argumentation gipfelte in der These, dass die Realität keinen Platz hat, wenn die Systeme doch so gut funktionieren. Der Satz bezog sich auf die Theorien des Konstruktivismus und warf in dieser verkürzten Wendung eine andere Frage auf. Wozu brauchen die Maschinen eigentlich noch den Menschen?
In allen Schubladen nach Kafka-Zitaten gewühlt
Oder anders gefragt, wozu brauchte diese Performance eigentlich einen als Schattenbild herumschleichenden, sich auf dem Boden wälzenden Schauspieler inmitten der Projektionen unter Begleitung von Ambient- und Industrial-Klängen aus dem Computer? Der menschliche Faktor, mehr als nur die Deklamiermaschine von geloopten Textfetzen, diente vor allem zum Stören.
Nachdem Engler in allen Schubladen gewühlt und Kafka-Zitate gefunden, sogar unter dem Bett nachgeschaut hatte, was der Prager Schriftsteller da vor rund hundert Jahren so hinterlassen hatte, zerriss er er in schönster Brecht-Manier den dünnen Faden der Fiktion und sprach direkt zum Publikum, "46 Jahre nach diesem Eintrag wird einer geboren, der sich 47 Jahre später an einem Kafka-Spektakel versuchen wird, und auch scheitert". Mit diesem selbstbezüglichen Winkelzug hob der Autor und Performer den - gewollten? - Dilettantismus auf eine höhere Ebene und beantwortete gleichzeitig die Frage nach dem menschlichen Faktor. Es geht etwas schief. Das reizt zum Lachen. Und Lachen, das möchte man ja in einem Theater namens Komödie auch einmal, trotz der vielen bitterernsten Themen. Und das tat das Publikum letztendlich auch. Und so wurde es dann noch ein herrlich gelungener misslungener Abend. Schräg eben.