Die Proteste vom letzten Wochenende sind noch frisch in Erinnerung. In Prag und mehreren anderen tschechischen Städten gingen am 17. November Tausende Menschen gegen Andrej Babiš und für Pressefreiheit auf die Straße (pa berichtete). Allein am Prager Altstädter Ring versammelten sich schätzungsweise mehr als 10.000 Menschen. Auch für den morgigen Freitag hat das Netzwerk „Milion chvilek pro demokracii“ („Eine Million Augenblicke für die Demokratie“) zu einem Marsch Tausender vom Hradčanské náměstí, also dem Platz am großen Haupteingangstor der Prager Burg, zum Altstädter Ring aufgerufen. Die Marsch-Route soll dabei über den Kleinseitner Ring (Malostranské náměstí), die Karlsbrücke und Národní třída zum Altstädter Ring verlaufen.
Die Route wurde nicht ohne Grund gewählt, geht sie doch vom Regierungssitz über die Straße, die bereits 1989, während der Sanften Revolution Ort zahlreicher Zusammenstöße zwischen der damaligen Polizei und den Studenten war. Auch der Tag, an dem die Demonstration stattfinden soll, ist bewusst gewählt. Denn morgen soll in der Kammer ein Misstrauensvotum gegen Andrej Babiš stattfinden. Der österreichische und liberale Standard geht davon aus, dass Babiš den Antrag unbeschadet überstehen dürfte. Auch oder gerade aus diesem Grund, will das Netzwerk „Milion chvilek pro demokracii“ den Marsch dazu nutzen, um erneut seine Rücktrittsforderungen gegenüber dem Premierminister zum Ausdruck zu bringen.
Interessant ist, dass das Netzwerk auf seiner Facebook-Seite dazu aufruft, Transparente auch auf Deutsch und Englisch vorzubereiten. Offensichtlich möchte man den Protest auch anderen EU-Staaten mitteilen. In der westlichen Presse wurde das Thema, das bereis seit geraumer Zeit aktuell ist (pa berichtete), entweder völlig ignoriert oder lediglich in Randspalten abgehandelt. Der Grund für die Proteste sind massive Korruptionsvorwürfe gegen den Premierminister, die u. a. mittlerweile auch der Investigativ-Journalist Jaroslav Kmenta (ehemaliger Mitarbeiter der Mladá fronta DNES, die von Andrej Babiš zwischenzeitlich aufgekauft wurde), dokumentiert und auf einer Lesung in der Prager Buchhandlung Luxor vorgestellt wurden (pa berichtete).
Derweilen ging ein Video viral durch das tschechischsprachige Internet, das auf https://www.seznamzpravy.cz (einem tschechischen Videoportal) eingestellt wurde und den Premierminister in Bedrängnis bringen könnte. Die 34minütige Dokumentation vom 12.11.2018 wurde vom Standard kommentiert.
Die Versammlung und der Marsch sollen um 18 Uhr auf dem Hradčanské náměstí (Burgplatz) beginnen.
Prag, 22.11.2018
Konstantin J. Kowalewski
Audio/Video:
Hintergrundinformationen:
Interview (Deutsch) mit einem Besucher bei der Buchvorstellung von Jaroslav Kmentas Enthüllungsbuch „Boss Babiš“ in der Buchhandlung Luxor (01.06.2018)
Interview (Deutsch) mit einem Demonstranten während der o. g. Demonstration am 17.11.2018 gegen Premierminister Babiš auf dem Altstädter Ring.