Prag - Hat die Unterwelt in Tschechien die Kontrolle über Politik und staatliche Verwaltung erreicht? Ist die ČSSD-Spitze in Mafia-Angelegenheiten wie Auftragsmorde verwickelt und behindert deshalb die polizeilichen Ermittlungen in einigen Korruptionsfällen? Dies sind die Fragen, die unmittelbar vor dem Urnengang in Tschechien den Wahlkampf bestimmen.
Den Auftakt setzte am Montag Jan Kubice, Leiter der Sondereinheit zur Aufdeckung des organisierten Verbrechens (ÚOOZ), mit einem Bericht vor dem Verteidigungs- und Sicherheitsausschuss des Abgeordnetenhauses in Prag.
Darin entwirft der Elitebeamte ein Szenario, wonach das organisierte Verbrechen schon staatliche Stellen infiltriert hat und die Aufklärungsarbeit in einigen Korruptionsfällen behindert. In die Machenschaften seien vor allem Personen aus dem Umkreis führender Politiker der regierenden Sozialdemokraten verstrickt. Auch im Zusammenhang mit dem Mord an dem umstrittenen Unternehmer František Mrázek führten die Spuren in den Umkreis der ČSSD.
Neben sicherheitspolitisch relevanten Vorwürfen enthält der Kubice-Bericht auch persönlich kompromittierende Aussagen an die Adresse von Ministerpräsident Jiří Paroubek. Dieser habe die minderjährige Tochter des mit ihm befreundeten Unternehmers Bohumír Ďuričko sexuell missbraucht.
Jiří Paroubek weist die Informationen Kubices scharf zurück und wirft dem Beamten vor, ein "Agent der ODS" zu sein, die sich mit allen Mitteln bemühe, kurz vor den Wahlen "das Ruder herumzureißen". Die Bürgerlichen Demokraten praktizierten ein "Sarajevo der schlimmsten Sorte", sagte der Premier unter Verwendung des in Tschechien üblichen Attentat-Synonyms.
Wegen des Vorwurfs des sexuellen Missbrauchs hat Paroubek inzwischen Strafanzeige gegen Kubice erstattet, berichtete der Online Anbieter Novinky.cz (Prag). Mit Hinblick auf die restlichen Aussagen in dem Bericht, soll eine Sonderkommission der Obersten Staatsanwaltschaft den Fall untersuchen. Erste Ergebnisse werden nicht vor Dienstag nächster Woche erwartet, berichtete die Tageszeitung Lidové noviny (Prag).
Der Mann, der die Sozialdemokraten mit seinem Bericht zur Untersuchung verschiedener großer Korruptionsaffären stark unter Druck gebracht hat, sei ein „Idealist, ein vertrauenswürdiger Kerl und ein anständiger Mensch“, sagen Freunde und Bekannte über ihn, so Lidové noviny.
Freunde und Bekannte von Kubice wiesen unterdessen die Vorwürfe zurück, Kubice könnte „auf Bestellung der ODS“ gehandelt haben. Zu den öffentlichen Verteidigern gehören vor allem frühere Dissidenten wie Svatopluk Karásek, Aleš Březina und Miloš Rejchrt. Auch Ex-Präsident Václav Havel hatte Kubice in der Vergangenheit mehrfach vor Anschuldigungen aus politischen Kreisen in Schutz genommen. (nk/gp)