Ich stehe am Náměstí Franze Kafky und blicke erwartungsfroh an der gelben Hausfassade empor. Golden schimmert sie im Sonnenlicht. Die zwei Balkone an der Frontseite lassen das Haus recht prunkvoll wirken. Diese Kulisse scheint mir angemessen für die Erhabenheit des Momentes: Ich werde gleich Franz Kafka treffen … vielleicht.
Es ist Sonntag. Heute arbeitet er nicht, denke ich mir. In eben diesem Moment könnte er aus dem Haus treten; oder um die Straßenecke biegen und auf sein Geburtshaus zulaufen. Ich spüre meine Handtasche schwer wie Blei auf meiner Schulter. Sie ist mit verschiedenen Büchern Kafkas beladen, die ich mir signieren lassen möchte.
Die Erhabenheit des Momentes droht sich durch die Warterei zu verflüchtigen. Außerdem stoßen mich ständig Touristen an, die in Massen in Richtung Rathaus an mir vorbeiziehen. Da fällt mir das Franz-Kafka-Café im Erdgeschoss von Kafkas Geburtshaus ins Auge. Dort könnte ich auf ihn warten. Schließlich muss er doch auch mal einen Kaffee trinken gehen. Außerdem habe ich von dort den ganzen Platz im Blick.
Ich bin schon halb durch die Tür getreten, als mir schlagartig einfällt, dass er dieses Café doch gar nicht kennt! Es ist bestimmt erst vor kurzem eröffnet worden. Wahrscheinlich geht er lieber in die alten Kaffeehäuser: Café Slavia oder Café Louvre. Ja, da erinnere ich mich, dass im Café Louvre sogar auf den Platzdecken steht, dass Kafka oft dorthin ging.
Eilig mache ich mich auf den Weg. Als ich das Café betrete, erwarte ich schon fast, ihn an einem der Tische sitzen zu sehen. Mit zunehmender Enttäuschung betrachte ich die unbekannten Gesichter an den Tischen. Schließlich setze ich mich allein an einen Tisch und bestelle unbesehen irgendetwas. Aus meiner Tasche krame ich eine Erzählungssammlung Kafkas hervor und beginne, darin zu blättern. Eine Geschichte zieht mich plötzlich in ihren Bann. Jetzt würde es mir nicht einmal auffallen, wenn Kafka durch die Tür käme. Aber in seiner Erzählung begegne ich ihm ja ohnehin schon.