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| | Studium | 2.1.2009

Landeskunde Tschechien

Zwischen Genialität und Wahnsinn

Dieses Semester wollte ich den Tschechischunterricht etwas intensiver gestalten und besuchte parallel zum Sprachkurs auch einen Kurs zur Tschechischen Landeskunde. Im Vorlesungsverzeichnis hieß es, dass das Theater im 19. Jahrhundert behandelt werden sollte, was ich thematisch durchaus reizvoll fand.

Gleich machte ich mich daran, dem Dozenten eine E-Mail zu schreiben, ob ich als Nicht-Slawistin denn auch an der Übung teilnehmen könne. Sogleich teilte er mir mit, dass er sich sehr freue, mich dort begrüßen zu können. Dann machte ich mich am ersten Donnerstag im Semester also auf. Um kurz vor drei fand ich mich in dem im Vorlesungsverzeichnis angegebenem Raum ein. Doch es war niemand da, weder Dozent noch Studenten.

Etwas verwirrt nahm ich einfach schon mal Platz, in der Annahme, dass noch weitere Studenten kommen würden. Doch es kam niemand. Es wurde immer später und später. Langsam kamen Zweifel in mir auf, ob ich hier denn auch richtig sei. Vielleicht hatte die Uni in letzter Minute mal wieder den Raum geändert? Oder der Dozent, Herr Jiroušek war krank? Die Übung fiel ganz aus?

Während ich in meinen Gedanken versunken im Raum saß, tauchte plötzlich ein kleiner Mann mit Hut auf und schaute interessiert in dem Raum. „Sind Sie zur Übung da?“ „Äh, ja“, antwortete ich etwas verdutzt. „Ja dann sehen wir uns“, sprach es und entschwand in den Gang. War das der Dozent? Und was sollte das heißen, dann sehen wir uns? Wann? Kam er zurück, oder meinte er nächste Woche? Oder sollte ich ihm nachlaufen, weil sich der Raum geändert hatte? Weitere fünf Minuten saß ich wieder grübeln rum. Jetzt war es 15:15 Uhr, die Veranstaltung würde wohl nicht mehr stattfinden. Also packte ich meine Sachen und schaute sicherheitshalber noch einmal auf den Raumplan, bevor ich das Zimmer endgültig zu verlassen gedachte.

Just in diesem Moment tauchte eine Studentin davor auf. Etwas schüchtern fragte ich sie, ob sie denn auch zur Landeskundeübung kommen würde und ob die heute auch stattfände. Ein kleiner Herr sei gerade da gewesen und habe etwas gemurmelt von „dann sehen wir uns“. „Jaja, das ist Herr Jiroušek, der ist immer so“, antwortete sie. Gut, dann waren wir ja schon mal zwei. Während Martina, wie die Studentin hieß und ich uns etwas kennen lernten, kam nun auch das Männlein, bepackt mit einem großen silberfarbenen Koffer wieder. Wie mir Martina erklärte, handle es sich dabei um den Beamer, den der Dozent jeder Studenten mitschleppen würde und dann immer ein Heidenspektakel veranstalten würde, um das Gerät aufzubauen, dabei zeige er nicht mal in jeder Stunde Bilder. Gut, nachdem das Ding dann stand, meldete sich Martina zu Wort und erklärt Herrn Jiroušek, dass sie vorhabe, die Veranstaltung immer nach einer Stunde zu verlassen, weil sie danach noch ein Hauptseminar habe, was er ganz selbstverständlich hin nahm. Ich dagegen fand das gar nicht gut, weil das bedeutete, dass ich dann mit dem Dozenten alleine war, denn außer uns beiden hatte niemand den Weg in die Übung gefunden.

Doch entgegen meinem Entsetzten schien es für den Dozenten das normalste der Welt zu sein, vor zwei Studenten zu referieren und als Martina tatsächlich einmal krank war, hielt er die Stunde nur für mich. Als Martina dann auch realisierte, dass nur wir beide an der Übung teil nahmen, flehte sie mich an, sie in Zukunft in diesem Kurs nicht alleine zu lassen. Etwas unschlüssig, ob ich hierher überhaupt wieder kommen wollte, sagte ich ihr zu und wir tauschten E-Mail Adressen aus, für den Fall, dass eine von uns überraschend nicht konnte. Nachdem ich mich dann auch noch vorgestellte hatte und den Grund für meinen Teilnahme an diesem Kurs ausgiebig erläutert hatte, fingen wir auch schon an, ca. 30 Min nach eigentlichem Veranstaltungsbeginn.

Doch anstelle eines ausgereiften Vortrages erwartetet uns dieses Semester ein wildes Sammelsurium an Landeskunde, Theaterwissenschaft, Geschichte, Philosophie und vieles mehr. Wie sich nämlich herausstellte, hatte Herr Jiroušek durchaus ein Konzept, nur ließ er sich sehr leicht ablenken, beziehungsweise schweifte sehr leicht ab. Der geringste Anlass genügte, wie etwa eine kleine Nachfrage und schon fand man sich einem sehr ausführlicher Geschichtsexkurse oder dergleichen wieder. Herr Jiroušek hat nämlich ein unglaublich großes Wissen und  egal was man ihn fragt, er schüttelt mal eben ganz lässig eine Antwort samt mehrstündiger Erklärung aus dem Ärmel.

Die Stunden liefen seither immer nach folgendem Muster ab. Nach dem oben schon erwähnten ausgiebigen Aufbau des Beamers, musste Martina, die im Hauptfach Theaterwissenschaften studiert und dieses Semester einen Kurs über „Wie entsteht Kunst“ besucht hatte, immer erzählen, was sie im Laufe der letzten Woche neues dieses Thema betreffend gelernt hatte. Wenn  Herr Jiroušek dann mit seinen Ausführungen, Ansichten und Thesen zu Martinas Antworte fertig war, kamen wir meist auf das eigentlich Thema der Übung, nämlich das Theater in Tschechien im 19. Jahrhundert zu sprechen.

Dabei erzählte der Dozent, was in Tschechien im Theater das Jahrhundert hindurch los war. Beginnend mit den Einflüssen der Aufklärung, über die Entstehung eines nationalen Theaters in tschechischer Sprache. Von Tyl und Smetana, von Klicpera und Štěpáněk, von Schillerübersetzungen und dem Einfluss des französischen Theaters in der Romantik. Von privat finanzierten Freilichtarenen, von Laientheater, den großen Erfolgen von Hamlet und  der Uraufführung von Mozarts Don Giovanni am 29.10 1787. Gemeinhin hielt er es so, dass wir den ersten Teil der Sitzung, wenn Martina noch da war mit theoretischem Stoff zubrachten und die zweite Hälfte dann Bilder anschauten.

Ich weiß bis heute nicht, ob ich das gut finden soll, da ich vom Theater in seinen Einzelheiten wenig Ahnung habe und mir die Bilder somit sehr gelegen kam, oder ob ich das Herrn Jiroušek als Reaktion auf meine Unkenntnis auslegen soll und ihm deshalb böse sein? Wie dem auch immer sei, der Kurs machte trotz der Gedankensprünge des Dozenten, die einem Außenstehenden nicht immer klar sind, erstaunlich viel Spaß. So habe ich mich bei meinem letzten Pragbesuch doch tatsächlich auf die Suche nach dem, im Kurs behandelten Theater, soweit sie noch vorhanden sind, gemacht. Anbei die schönsten Entdeckungen, das allseits bekannte Národní divadlo, sowie das Nostitz-Theater unweit des Wenzelsplatzes.

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