Wo zum Teufel ist Olomouc? Diese Frage stellte sich mir Mitte Juli, als ich die Zusage für ein Stipendium für die Letní Škola Slovanských Studií (Sommerschule für slawische Sprachen) in Olomouc bekam.
Seitdem ich wusste, dass ich ab Oktober ein ganzes Jahr in Prag verbringen darf, hatte ich gehofft zu den Glücklichen zu gehören, die von Bayhost (bayerisches Südosteuropazentrum in Regensburg) ein Stipendium für einen vierwöchigen Sommersprachkurs in Prag erhalten, um mein Tschechisch vor Semesterbeginn noch einmal aufzubessern. Da ich mich mit einer Kommilitonin unterhalten hatten, die letzten Sommer einen der besagten Plätze ergattert hatte und meinte, es sei sehr unkompliziert gewesen, ging ich frohen Mutes an die Bewerbung.
Und kaum hatte ich alle erforderlichen Unterlagen in 20-facher Kopie abgeschickt, flatterte auch schon ein Antwortscheiben ins Haus. Ein dünner, kleiner Brief. „Das kann ja nur ein Zusage sein, sonst würde man mir ja die 20 Kopien zurückschicken“, dachte ich mir. Doch Pustekuchen. In dem Schreiben stand, dass man sich freue, mir mitzuteilen, dass ich auf einem Nachrückplatz für das Sprachkursstipendium stehe und für den Fall, dass jemand absagen würde oder die Universität in Prag noch mehr Plätze zur Verfügung stelle (was sehr wahrscheinlich sei), würde man es mich sofort wissen lassen. Nun gut, dachte ich mir, noch ist nichts verloren.
Als aber der Termin für den Kurs immer näher rückte und ich keine Antwort von Bayhost erhielt, schwanden meine Hoffnungen. Kaum hatte ich mich dann damit abgefunden, den Rest der tschechischen Grammatik einfach alleine zu lernen, bekam ich ganz unverhofft eine E-Mail, in der mir ein Platz in der Sommerschule in Olomouc angeboten wurde. Zunächst war ich stutzig, denn für Olomouc hatte ich mich nie beworben. Doch wie sich herausstellte, hatte Bayhost meine Bewerbung an das tschechische Ministerium für Bildung weitergegeben und dieses hatte entschieden, dass es mich nach Olomouc verschlagen sollte. Ich war hellauf begeistert und konnte mein Glück kaum fassen, vor allem als ich erfuhr, dass besagtes Stipendium bis auf die Anfahrtskosten für alles aufkommt. Das hieß, nicht nur Unterbringung und Kursgebühren waren bezahlt, sondern man erhielt auch Coupons, mit denen man sich in den Restaurants von Olomouc vorzüglich verpflegen konnte. Da der Kurs auch schon Ende Juli anfing, kam erfreulicherweise hinzu, dass ich die letzte Woche des Semesters ausfallen lassen konnte und somit einem ganz bösen Politikreferat entging. Getrübt wurde meine Freunde dann etwas, als ich in Googlemaps nachschaute, wo es mich denn nun hin verschlagen sollte; an das östliche Ende Tschechiens. Immerhin in die fünft größte Stadt des Landes, aber doch trotzdem irgendwo im nirgendwo. Noch dazu sollte die Unterbringung in einem kommunistischen Plattenbauwohnheim par excelance erfolgen.
Das schien alles nicht ganz meinen Vorstellungen zu entsprechen, immerhin hatte ich geplant, einen Platz in der Sommerschule in Prag zu kriegen und dann in der traumhaft schönen und riesengroßen Wohnung von Matej zu residieren, umgeben von Klubs, Bars, Museen, Ausstellungen und was nicht allem. Nun dagegen Olomouc, in dem mit Mühe ein Klub zu finden war, der im Sommer, wenn alle Studenten die Stadt verlassen hatten, geöffnet war. Aber gut, tröstete ich mich. Schließlich wollte ich den Kurs ja, um Tschechisch zu lernen und da wäre Prag wohl eine zu große Ablenkung gewesen.
So besorgte ich mir also die Tickets und machte mich ans Packen. Ich sollte vielleicht erwähnen, dass ich grundsätzlich und immer viel zu viel einpacke und meine Koffer immer extrem schwer sind. Gut, da stand ich also am Tag der Abreise mit einem Koffer der grob geschätzt ca. 50 Kg wog. Naja, als Frau braucht man eben Auswahl und das schon gleich zweimal, wenn man vier lange Wochen weit weg vom geliebten Kleiderschrank verbringt. Und ich meine, vier Paar Schuhe sind da doch angemessen, auch wenn es vier Paar Ballerinas waren und davon jeweils zwei in schwarz und zwei in weiß. Egal, eine Frau muss tun, was eine Frau tun muss.
Zu Beginn des Abenteuers war es mir auch noch nicht bewusst, was für eine Schnapsidee es war, meinen kompletten Kleiderschrank einzupacken, denn zum Bahnhof wurde ich mit dem Auto gebracht und in München am Hauptbahnhof halfen mir Freunde das Ding in den Zug zu wuchten. Zunächst war mein Plan dann auch noch, den Koffer einfach neben mich auf einen Sitz zu legen, sodass ich keine Probleme haben würde, in Prag umzusteigen. Zu diesem Zeitpunkte dachte ich auch noch, dass ich in Prag Dreißig, ich betone DREIßIG, Minuten zum Umsteigen haben würde. In dieser Zeit sollte man doch den Koffer aus einem und in einen anderen Zug wuchten können, selbst wenn man noch das Gleis suchen musste. Doch da täuschte ich mich. Wie so oft auf der Fahrt nach Olomouc. Die erste Überraschung wartete direkt im Zug nach Prag auf mich. Dieser war nämlich überbucht und mein Plan, das Gepäck auf einem Sitzplatz zu lagern, damit zunichte. Gott sei dank befanden sich im meinem Abteil ein paar starke Jungs aus London, die sich bereit erklärten, den Koffer hochzuwuchten, und ihn in Prag auch wieder runter zu heben. Dies war auch der einzige Grund, warum ich es mit ihnen sechs Stunden im Abteil aushielt. Denn sie kamen nach 30 Minuten Fahrt auf die tolle Idee, einfach ihre Schuhe auszuziehen. Dem Geruch nach zu urteilen, hatten sie mit diesen Schuhen drei Bergwanderungen gemacht und sich vier Wochen die Füße nicht gewaschen. Benebelt von diesem Dämpfen fiel ich dann während der Fahrt in einen Art Dämmerschlaf, der mich daran hinderte, wie geplant noch einmal Grammatik für den Einstufungstest zu wiederholen. Aber gut, letztlich habe ich es auch ohne die Wiederholung in den Fortgeschrittenenkurs geschafft, was ich im übrigen auch nur meiner superlieben Tschechischlehrerin in München verdanke, die mir kurz vor der Abreise noch Extrastoff eingetrichtert hat. An dieser Stelle herzlichen Dank, Frau Vondračková. Endlich kam ich dann in Prag an- mit 15 Minuten Verspätung. So viel zum gemütlichen Umsteigen!
Immer noch leichte benommen von den Ausdünstungen meiner Mitreisenden schaffte ich es dann tatsächlich, und fragt mich nicht wie, meinen 50 kg Koffer aus dem Zug zu wuchten. Kaum hatte ich das Monster dann unter Kontrolle, befiel mich auch schon Panik, weil ich ja nicht wusste von welchem Gleis mein Anschlusszug fahren würde. Gott sei dank erspähte ich unweit von mir einen Schaffner. Aus diesem konnte ich dann in einer Mischung aus Tschechisch und Englisch herausbekommen, von wo der Zug vermutlich abfahren sollte. Gut, aber ich hatte nur noch zehn Minuten. Ja ich weiß, zehn Minuten sind verdammt viel Zeit, doch das habe ich damals nicht realisiert. In Panik zog ich den Monsterkoffer die nächste Treppen hinab, in der festen Überzeugung, für die Suche nach einer Rolltreppe wäre keine Zeit. Dieser Überzeugung war ich dann auch noch, als ich ihn auf der anderen Seite wieder eine Treppe nach oben geschleppt hatte. Überglücklich stand ich nun vor meinem Anschlusszug. Da ich nun wirklich kaum noch Zeit hatte, beging ich schon den nächsten Fehler. Für den Pendolino, den neuen Schnellzug nach Olomouc muss man sich einen Platz reservieren. Meiner Befand sich im 4. Wagen. „Es sollte ja in den modernen High-Tech-Zügen kein Problem sein, von einem Wagen in den nächsten zu gelangen“, dachte ich mir und kletterte mit letzter Kraft in 6. Wagen. Tja was soll ich sagen? Natürlich standen überall riesige Koffer auf den Gängen in Richtung Wagen 4. Deren Besitzer waren nun auch nicht gerade beglückt darüber, diese für mich aus dem Weg räumen zu müssen. Anfangs klappte das noch ganz gut, doch circa 20 Meter vor meinem Sitz weigerte sich dann eine Großfamilie. Vergeblich versuchte ich, den Koffer über deren Gepäck zu heben. Ok, heben ist hier auch das falsche Wort, denn heben konnte ich meinen Koffer gerade mal zehn Zentimeter über den Boden anheben. Nachdem ich dann weiter zehn Minuten vergeblich versucht hatte, zu meinem Platz zu kommen, mein Kopf eine sehr ungesunde Rotfärbung angenommen hatte und ich kurz vorm Weinen war, hatte ein netter älterer Tscheche Mitleid und half mir. Endlich kam ich dann an meinem Platz an. Aber es wäre ja zu einfach gewesen, wenn die Abenteuer auf der Hinreise damit schon zu Ende gewesen wären. Kaum hatte ich nämlich meine zwei Taschen verstaut und meinen Koffer, der im übrigen so voll war, dass er immer nach vorne kippte, dazu gebracht, stehen zu bleiben, kam der Bordservice. Die pflichtbewusste Dame ließ sich natürlich nicht darauf ein, ihre Kaffe- und Teetour heute ausnahmsweise ausfallen zu lassen, weil mein Koffer ihr den Weg versperrt. Letztlich habe ich dann irgendwie geschafft den Koffer so weit zur Seite zu ziehen, dass sie mit ihrem Wägelchen durch passte. So, nun hatte ich doch sogar anderthalb Stunden Ruhe und Frieden und konnte mich an der vorbeiziehenden Umgebung erfreuen. Doch damit sollten die Abendteuer noch lange nicht zu Ende sein…