Es ist Samstagnachmittag, drückende Schwüle liegt über Prag. Scheint, als hätte sich das Wetter besondere Mühe gegeben, sich an das heutige Event anzupassen. Heute findet nämlich in Prag der Speedway Grand Prix statt und es liegt eine aufgeregte Angespanntheit in der Luft.
Schon von weitem können die Fotoschnecke und ich das Heulen der Einzylinder-Viertakter hören und läuft dabei ein wohliger Schauer den Rücken hinab. Mit jedem Schritt, dem wir uns der Rennstrecke nähern, wird das Polizeitaufgebot größer. An jeder Straßenecke stehen fette Einsatzwägen, am Eingang zur Rennstrecke sogar die Ankündigung, dass Patrouillen mit Spürhunden unterwegs sind. Ob das nun aus Angst vor Anschlägen ist, oder zur Vermeidung von Drogenkonsum auf dem Areal? Bevor ich darauf eine endgültige Antwort bekomme, sind wir auch schon drin. Ehrlich gesagt bin ich von den Menschenmassen doch etwas erstaunt. Immerhin ist der Markéta-Autoklub ja nicht so wirklich groß und Speedway in Tschechien nun auch nicht ein so angesagter Sport. Und irgendwie sind auch nicht so wirklich viele Tschechen da. Die Massen sind in rot und weiß gehüllt. Dumm nur, dass es da nun zwei Möglichkeiten gibt, wen sie unterstützen: Polen oder Dänemark? Ich würde sagen, dass gut 90 Prozent von ihnen Polen sind, der Rest dürfte sich aus dem hohen Norden hierher verirrt haben.
Durch alle die Massen hindurch versuchen wir nun erst mal, unsere Plätze zu finden, während die Fotoschnecke natürlich wieder alles haarklein dokumentiert. Da wir Frauen sind und nur bedingt über einen Orientierungssinn verfügen, umrunden wir die 352 Meter lange Rennbahn fast einmal komplett, bis wir endlich unsere Kurve gefunden haben. Aha, wir sitzen also im dänischen Fanblock. Nun stelle ich auch zum ersten Mal an diesem Abend fest, die Idee sich Plätze in der ersten Reihe in einer Kurve zu kaufen war nicht meine beste. Im Moment stört nur die Sonne. Und leider ist die Gegenlichteinstellung in meiner Kamera nicht die besten. Aber das Rennen wird ja lang. Mit über drei Stunden sehr viel länger, als wir erwartet hatten.
Doch nun machen wir es uns erst mal mit unserem Bier gemütlich, diskutieren die besten Positionen für gute Fotos. Freudig stellen wir fest, dass wir direkt neben der Einfahrt der Fahrer auf die Rennstrecke sitzen. Ein letztes Mal wird die Bahn, die nicht aus Sand sondern kleinen spitzen Steinchen besteht, gewässert, dann geht das Gatter auch schon auf und ein Dutzend Easy Rider Maschinen bringt die Fahrer auf die Bahn. Es folgt eine ausgiebige Vorstellung und vier Damen in weißen, roten, blauen und gelben bauchfreien Kostümchen mit großen Regenschirmen führen eine Art Voodoo-Hexentanz auf.
Und dann geht das Rennen endlich los. Vier Fahrer gehen an den Start, das Aufheulen der Motoren ist zu hören und Sekunden später rasen sie auch schon an uns vorbei. Dutzende dieser kleiner spitzer Steinchen werden auf uns geschleudert. Da die Maschinen keine Bremsen haben, die Fahrer aber eine Geschwindigkeit von 100 km/h draufhaben, ist die einzige Möglichkeit, durch die Kurve zu kommen, sich in selbige zu legen. Ja und dabei werden Massen von Steinchen zur Seite geschoben und prasseln auf das Publikum nieder. Nun ist mir auch klar, warum die Karten verhältnismäßig günstig waren! Den Rest des Rennens werde ich nach einer Möglichkeit suchen, Fotos von den Fahrern in der Kurve zu machen, dabei aber zeitgleich zu verhindern, dass meine Kamera geschrotet wird und ich diese spitzen Dinger ins Auge kriege. Und letztlich werde ich eine Tonne davon in meinem BH nach hause schleppen, und das obwohl ich ein hochgeschlossenes Shirt anhabe.
Als im zweiten Rennen dann ein Tscheche an den Start geht und wir für diesen jubeln, weil ja kein Deutscher mit von der Partie ist und wir uns inzwischen ja schon wie Tschechinnen fühlen, haben wir den nächsten Fehler gemacht. Plötzlich werden wir von hinten auf Deutsch angequatscht. Wie sich rausstellt kann einer der Dänen hinter uns deutsch und hat das dingende Bedürfnis uns seine Lebensgeschichte zu erzählen. Und wenn wir ihm mal nicht gespannt zuhören, dann trötet er uns mit seinem Megafon ins Ohr. Nett. Also ich bin ja prinzipiell für Völkerverständigung, nur ist ein Fünf-Stunden-Gespräch während eines Motorradrennens vielleicht nicht die beste Gelegenheit, besonders dann nicht, wenn man aussieht wie ein Ork. Und da ist es auch egal, dass man vor Jahren selber mal aktiver Rennfahrer war.
Als wir uns dann gerade an den Steinschlag und das Tröten gewöhnt hatten, passiert es auf einmal. Gerade kommen die Fahrer in unsere Kurve. Ich halte die Kamera hoch und ducke mich zeitgleich, als plötzlich der Alarm losgeht und vor mir Rauch aufsteigt. Erst denke ich, das muss Feueralarm sein, doch dann sehe ich ein kaputtes Motorrad direkt vor mir auf der Strecke. Einer der Fahrer hat die Kontrolle über die Maschine verloren und war frontal in die Bande geknallt. Sofort kommt der Rettungswagen auf die Rennbahn, Helfer eilen herbei und ein Haufen Schaulustiger, die ununterbrochen Bilder machen. Das Publikum ist geschockt. Als der Russe Emil Saifutdinow, der Vorjahressieger dann in den Krankenwagen geschoben wird, gibt es spontanen Applaus für ihn.
Die nächsten zwei Runden hat man das Gefühl, die Fahrer fahren vorsichtiger, weniger auf Risiko. Doch dann ist der Unfall auch schon wieder vergessen, bis, ja, bis der nächste in die Bande knallt. Hier kann man dann auf gruselige Art und weise beobachten, wie abgestumpft die Leute doch sind. Waren sie beim ersten Mal noch geschockt, scheinen sie jetzt eher gelangweilt ob der neuerlichen Unterbrechung. Und als dann kurze Zeit später noch mal einer ins Straucheln gerät, gar angepisst. Mir wird hier bewusst, wie schwachsinnig es doch ist, für so eine Sache sein Leben zu riskieren.
Inzwischen ist es richtig dunkel geworden und schweinekalt. Natürlich hab ich mal wieder nicht die richtige Kleidung für das Event an und friere ganz fürchterlich. Aber die Bahn wird von dicken Strahlern beleuchtet, was der Sache nun erst so richtig die Atmosphäre gibt. Wir machen uns nach einem Toilettenausflug nun auf, Fotos von einem anderen Blickwinkel zu schießen. Die Polen liegen inzwischen in Führung, sodass viele nicht mehr auf ihren Plätzen sitzen, und es nicht auffällt, wenn wir auch ein bisschen auf den Bahnen rumklettern.
Und ehe wir uns versehen, kommt dann schon die finale Endrunde. Der Pole Jarosław Hampel gewinnt das Ganze schließlich überlegen. Das halbe Stadion, von Polen besetzt, wiegt sich im Siegestaumel, während sich die anderen Nationen enttäuscht auf den Heimweg machen. Wir warten noch die Siegerehrung ab, die wir leider nur von hinten zu Gesicht bekommen, werden romantisch beim anschließenden Feuerwerk und dackeln schließlich halb erfroren, aber um ein cooles Erlebnis reicher nach Hause.