Wie der werte Leser vielleicht schon mitbekommen hat, bin ich per se eigentlich kein großer Fan von Folkmusik. Aber ich muss zugeben, dass das Konzert von Bregović mich ja schon ein bisschen bekehrt hat. Nicht dass ich nun alle meine Metallica- und Sepulturaplatten auf den Müll geworfen hätte, aber so ein bisschen Offenheit für andere Musikrichtungen, das kann ja nicht schaden, dachte ich mir. Und prompt bekam ich auch gleich die Gelegenheit, diese unter Beweis zu stellen. Konkreter Anlass: Beirut waren in der Stadt. Also die amerikanische Folkband, dass wir uns richtig verstehen. Da musste ich als gute Musikjournalistin natürlich hin, um mir mal persönlich anzusehen, ob die Band den Wirbel, der um sie gemacht wird, auch verdient.
Sonntagabend machte ich mich dann also in meiner folkloristischen Kleidung auf den Weg ins Kulturní dům Vltava in der Bubenská. Nachdem ich aus der Tram gestiegen war und etwas verwirrt durch die Gegend eierte, kreuzte ein Trupp, naja sagen wir mal Ökofreaks meinen Weg. „Die sind bestimmt auch auf dem Weg zum Konzert“, dachte ich mir und heftete mich an ihre Fersen. Und, wer hätte es geglaubt, keine fünf Minuten später stand ich dann vor dem Zentrum. Und mit mir hockten, standen und lagen dort Massen von Menschen. Etliche hielten Zettel mit „I buy a ticket!“ hoch. Kaum hatte ich Kurs auf den Eingang genommen, liefen ein paar sogar auf mich zu und wollten mich dazu überreden, ihnen mein Ticket zu verkaufen. Da ich meine erst beim Akkreditierungsbüro abholen musste, konnte ich ihnen leider nicht helfen. So bahnte ich mir also einen Weg durch die Massen und dachte an einen meiner Freunde, der mich kurz entschlossen begleiten wollte, doch leider kein Ticket mehr bekam. Hatte mich ja sehr verwundert, dass das Konzert wirklich ausverkauft sein sollte. Ich meine, ich wusste Beirut ist angesagt, aber so angesagt? Im Laufe des Abends stellte ich fest, dass gut die Hälfte der Konzertbesucher keine Tschechen waren, sondern extra aus den benachbarten Ländern angereist waren. Die Dichte an Deutschen übertraf sogar die auf dem Billy Idol-Konzert. Dabei machte das ganze Drumherum irgendwie nicht den Eindruck, als würde hier gleich eine total hippe Band spielen.
Kaum hatte ich beim Kartendealer meines Vertrauens die Freikarte abgeholt, und hier fing die Stümperhaftigkeit schon an, denn anstelle eines echten Tickets, was mir später noch sehr nützlich gewesen wäre, wurde ich einfach nur durch gewunken. Dann stürzen sich erst mal drei Securitymenschen auf mich, durchsuchten meine minikleine Handtasche und zogen triumphierend das Pfefferspray heraus. Toll, nach dem Verlust meines Minitaschenmessers mit Fingernagelfeile auf dem Billy-Idol-Konzert, um das ich im Übrigen immer noch trauere, wollte ich mich nicht schon wieder von so einem wertvollen Stück trennen. Kurzentschlossen wollte ich von einem der Securitytypen wissen, ob ich das nach dem Konzert hier wieder abholen könne. Nachdem er das bejaht hatte, brach allerdings etwas das Chaos aus. Denn die Kombination zum Minisafe, der auf dem Tisch am Eingang stand, war scheinbar ein großes Geheimnis. So wurde ich dann gebeten zu warten, während der Securitytyp sichtlich angepisst versuchte, die Zahlenfolge herauszubekommen. Da die Massen aber rein drängten, drückte er mir letztlich einfach eine Nummer in die Hand und schickte mich weg.
„Ob ich das jemals wiedersehen werde?“, dachte ich mir, während ich die Treppen hinab ins Kulturní dům stieg. Endlich unten angekommen, war ich doch enttäuscht. Das Ganze hatte mehr den Charme einer Schulaula, als eines Konzertsaales. Überall campierten auch extrem junge Menschen auf dem Boden. Aber immerhin war der Zuschauerbereich so klein, dass man selbst von ganz hinten noch näher an der Band dran war, als beim Sonisphere, wo ich in der ersten Reihe stand. Nach der Rauminspektion machte ich mich dann wie immer auf die Suche nach einer Toilette. Und davor stand natürlich wie immer eine lange Schlange. Dass Frauen aber auch immer pinkeln müssen, sobald sie das Haus verlassen. Da die Pfefferspray-Sache so lange gedauert hatte, beschloss ich, kein Klo dafür lieber Bier.
Auf dem Weg zum Bier fiel mir dann auf, dass es über den sitzenden Kiddies einen Balkon gab. Dann kam ich auf die grandiose Idee, dass man von da bestimmt einen super Blick habe. Ruck Zuck war ich hochgestiefelt und versuchte, mir einen guten Platz zu sichern. Das war gar nicht so einfach, aber was noch viel schlimmer war, war die unerträgliche Hitze hier oben. Es war ja schon unten echt heiß. Da hatte ich immer noch die Hoffnung, dass die runden Dinger in der Decke so was wie eine Klimaanlage wären. Doch die waren da nur zur Zierde. Erst dachte ich ja, es wäre nicht so schlimm und nach einem kühlen Bierchen hätte ich mich an die Raumtemperatur bestimmt gewöhnt. Da als ich das Bier dann getrunken hatte, war mir nicht nur immer noch schweineheiß, sondern inzwischen war ich auch von Massen ebenso schwitzenden Menschen umgeben und somit gab es kein Entrinnen! Wie beneidete ich nun alle, die einen Eintrittskarte hatten und sich damit wenigstens etwas Luft zufächern konnten. Gerade, als ich dachte das sei der Tiefpunkt, schob sich ein drei Meter großer, zwei Meter breiter Koloss vor mich und nahm mir jegliche Sicht. Statt auf den Sänger hatte ich nun beste Aussicht auf die Schweißperlen, die sich in seinem Nacken bildeten.
Da ich nicht raus kam, lehnte ich mich nun einfach an die Wand hinter mit, in der Hoffnung, die wäre wenigstens etwas kühl und versuchte, nicht umzufallen, weil Sauerstoff war trotz meiner exponierten Position auf dem Balkon eine Mangelware. So verbrachte ich dann gute 20 Minuten, bis um halb neun Beirut endlich auf die Bühne kam. Für eine gewisse Zeit kam nun ein echt guter Teil des Abends. Mein Sichtstopper war inzwischen verschmolzen und hatte das Weite gesucht, sodass ich nun ganz gut sah, wenn ich mich ein bisschen auf die Zehenspitzen stellte. Und auf den Zehenspitzen stehen ist ja bekanntlich ein sehr gutes Training für den Hintern. Ich trainierte also meinen Hintern, machte Fotos und Videos und für eine kurze Zeit vergaß ich sogar, dass ich in einem Backofen war. Beirut sind echt gut, die Kombination aus Trompete, Kommode und Kontrabass gibt der ganzen Sache richtig pfiff. Vor allem die Lieder, die der Sänger Zach Condon auf seiner Reise durch Osteuropa geschrieben hat, fand ich sehr gut. Denen merkte man seine Bekanntschaft mit Bregovic an und der hat mich ja doch ganz schön beeindruckt.
Doch kaum hatte ich dann vergessen, dass ich gleich an einem Hitzekoller sterben würde, da macht Condon einen entscheidenden Fehler: Er beschwerte sich auch über die tropischen Temperaturen hier. Sofort wurde mir wieder bewusst, dass ich ja schwitze wie ein Schwein, und mit mir das gesamte Publikum. Alle wischten sich den Schweiß vom Gesicht, bliesen und wedelten, um sich etwas Kühlung zu verschaffen. Der Großteil verzichtete inzwischen sogar schon darauf, sich irgendwie zur Musik zu bewegen, einigen gaben sogar das Klatschen auf. Und während ich kurz vorm dehydrieren war, fasste ich ca. einen Stunden nach Konzertbeginn den Entschluss, nun vom Balkon runter zu müssen, koste es war es wolle. So drückte ich mich dann an Dutzenden total verschwitzten Leuten vorbei und ich muss sagen, das toppte das Green Day-Konzert mit den mich vollschwitzenden Punk noch um einiges. Als ich dann endlich unten angekommen und mir gerade ein etwas besser belüftetes Plätzchen suchen wollte, da packen Beirut plötzlich alle Sachen und verzogen sich ohne große Erklärung von der Bühne.
Erst dachten alle, dass es sich nun um das altbekannte Zugabe-erbetteln-Spielchen handelte, doch gleich kam ein Typ auf die Bühne, der uns erklärt, dass aufgrund irgendwelcher Wasserprobleme oder so die Band nicht mehr zurück kommen würde. Ratzfatz versuchten nun die Massen aus dem Gebäude zu kommen. Die Treppen waren pitschnass, an den Fenstern lief das Wasser herunter. Als ich draußen ankam, regnete es wie aus Eimern und war ziemlich kalt. Wie mir mein Kartendealer erzählte, hatten sich, während ich unter Tage schwitzte, an der Oberfläche Weltuntergangsszenarien abgespielt. Ich stand noch ein bisschen unter dem Dach, rauchte eine, lauschte den Ausführungen der Aberdutzenden deutschen Konzertbesucher, die alle restlos begeistert waren und machte mich, nachdem der Regen kurz aufgehört hatte, auf Richtung Tram, während ich immer noch die Melodie des ein oder anderen Songs im Ohr hatte.