Prag - Messi schaut kurz zur Seitenlinie. Ach, der vierte Schiedsrichter hält bereits die Tafel mit der Nachspielzeit hoch. So spät ist es dann doch schon. Nun gut, dann wird es doch mal Zeit, den Nachweis für geleistete Arbeit zu erbringen. Hier stehe ich, ruft er seinen Mitspielern zu, hier, gebt mir mal das Arbeitsgerät rüber, hierher. Ballannahme, ein Haken, zwanzig Meter Torentfernung, ein Schuss mit links, Innenseite, mit Effet, dreht sich halbhoch in die lange Ecke, da kann sich der Torwart noch so sehr recken und strecken, der Ball sitzt. So, das war’s, jetzt muss die Abwehr noch die läppische Nachspielzeit weghauen und ich kann mich schon mal auf’s Achtelfinale konzentrieren. Vielleicht muss ich gegen Nigeria nicht mal selbst ran. Mensch, es gibt aber auch viele Länder auf dieser Welt, erst spielen wir gegen Bosnien und dingsda, davon habe ich noch nie gehört, dann gegen diese hier, Iran, und nächste Woche gegen jene aus Afrika. Es wird jetzt echt Zeit, dass die WM richtig losgeht. Denkt sich Messi, zieht die Schuhe aus und setzt sich seine Kopfhörer auf. Brasilien, wer ist bloß auf die Idee gekommen, hier ’ne WM zu veranstalten. Erst Südafrika, jetzt das hier, können wir nicht endlich mal in einem normalen Land spielen? Zum Glück haben wir diesen früheren Kokser nicht mehr als Trainer, der ist mir ja mit seinem Gelaber schwer auf den Sack gegangen...
So viel wie nötig
Wollten sie nicht, konnten sie nicht, waren sie sich so sicher, dass Messi es schon richten würde, wussten sie, dass der Schiedsrichter gegen sie niemals einen Elfmeter pfeift, egal wie klar das Foul war?
So könnte es gewesen sein, in den letzten Minuten des Spiels Argentinien gegen Iran, nach welchem ich die wahre Stärke der Silbermänner vom Silberfluss immer noch nicht einschätzen kann. Wollten sie nicht, konnten sie nicht, waren sie sich so sicher, dass Messi es schon richten würde, wussten sie, dass der Schiedsrichter gegen sie niemals einen Elfmeter pfeift, egal wie klar das Foul war? Fragen über Fragen ohne Aussicht auf eine Antwort. Argentinien gewinnt und niemand weiß warum. Nein, falsch, wegen Messi eben. Aber sonst...
Später spielt mal wieder Deutschland gegen Ghana, Jerome Boateng gegen Kevin Prince Boateng, die afrikanischen Taktikdeutschen gegen die deutschen Spielafrikaner. Yogi Löw (das ist ein neudeutscher Vorname) trägt seine Erinnerungsarmbänder, die ihn davon abhalten sollen, seine Popel vor laufender Kamera zu verspeisen und seine Mannschaft spielt in der exakt gleichen Aufstellung wie gegen Portugal. Nur, dass es gegen Ghana zunächst mit dem Toreschießen nicht klappen will. Es ist halt doch schwer für eine Mannschaft, die mit vier Vorstoppern, einem Abwehrspieler im Mittelfeld und ohne Stürmer spielt, vorne was zu reißen. Meine Vermutung ist, dass Löw Italien kopieren will. Gedrosseltes Tempo, hier und da Temposteigerungen, Kroos darf mal aus der zweiten Reihe schießen und Hummels einen Pass länger als zwanzig Meter schlagen, ansonsten war es das aber an Erkenntnissen aus der ersten Hälfte.
Löwen ohne Biss
Meine Vermutung ist, dass Löw Italien kopieren will. Gedrosseltes Tempo, hier und da Temposteigerungen, Kroos darf mal aus der zweiten Reihe schießen und Hummels einen Pass länger als zwanzig Meter schlagen, ansonsten war es das aber an Erkenntnissen aus der ersten Hälfte.
Halbzeit zwei, Götze köpft sich den Ball an’s Knie, das ist nun wirklich unhaltbar für den Torwart. Yogi Löw hat einen Narren an Shkoder Mustafi gefressen und bringt ihn für die zweiten 45 Minuten. Zum Dank lässt Shkoder Mustafi gleich mal seinen Gegenspieler den Ausgleich köpfen, kurz darauf fährt Ghana einen Konter ein und Löw bringt mit Schweinsteiger und Klose wenigstens noch den Ausgleich auf’s Feld. Klose mit siner ersten Ballberührung 2014, Zweizwei, sein fünfzehnter WM-Treffer, damit hat er nicht nur die Führung gegen Gerd Müller an Länderspieltoren ausgebaut (71 gegen 69), sondern auch mit Ronaldo (Brasilien Ronaldo, nicht zu verwechseln mit Cristiano „Narziss“ Ronaldo, den Freistoßvergeber) gleichgezogen. WM-Torschützen: Platz eins Miro Klose, Ronaldo je 15, Platz drei Gerd Müller 14, Platz vier Juste Fontaine 13.
Deutschland hat nicht verloren, aber auch nicht gewonnen, Shkoder Mustafi hat nicht schlecht, aber auch nicht gut gespielt. Ich frage mich allerdings, warum spielt der dort überhaupt? Ist das nach dem Popelfressen nun der neueste Tick von Yogi Löw, grundsätzlich nur Vorstopper als Außenverteidiger spielen zu lassen? Und wofür ist das dann gut, wenn die nicht mal Kopfballduelle am Fünfmeterraum gewinnen? Warum um Gottes Willen wechselt er nicht den jungen Dortmunder Durm ein, der hat in der Champignon Liga bewiesen, was er drauf hat und lässt Höwedes rechts verteidigen? Dem ist das doch eh egal, auf welchem Flügel er fremdelt. Nein, da kommt noch ein Vorstopper, von dem niemand je etwas gehört hat, nur weil der ein, zwei Jahre in England auf der Tribüne saß und jetzt in Italien bei Sampdoria Genua spielt. Ich habe ja nichts gegen Mustafi, doch warum ignoriert der Löw eigentlich so konsequent Außenverteidiger, die das auch im Verein spielen? Und das seit Jahren! Nur weil sein Spielbeobachter Horst Siegenthaler ihm verzapft hat, dass bei dieser WM Außenverteidiger keine große Rolle spielen werden? Bei Löw offensichtlich gar keine. Deshalb sieht der Kader auch aus, wie er aussieht. Gefühlt besteht die halbe Mannschaft aus Vorstoppern, den Rest füllen Mittelfeldspieler auf. Das führt dann dazu, dass Schürrle auf der Bank sitzt und Khedira die Order erhalten hat, sich durch die gegnerische Abwehr zu dribbeln. Und warum müssen wir, verdammt noch mal, ohne Stürmer spielen? Mit dem Spanien-Kopieren ist es jetzt mal gut, die fahren nächste Woche schön gemütlich nach Hause. Und wenn wir nicht aufpassen, tun wir das nämlich auch.
Später schlägt Nigeria in einem eher faden Spiel Bosnien und Herzegowina Einsnull, die Ex-Jugoslawen sind damit raus und die Afrikaner drauf und dran ins Achtelfinale einzuziehen.
Gerd Lemke