Prag - Tag 27: Auf, zum letzten Mal Biergarten für diese WM. Dabei beginnt der Tag schon viel früher. Gestern haben wir verloren, also hat der Aberglaube, mir die Haare nicht schneiden zu lassen, auch nichts geholfen.
Endlich kommen die langen Zotteln ab, die ich seit meiner Hippie-Phase, als ich noch Hermann Hesse las, nie wieder in dieser Länge getragen habe. Aber damals waren sie auch noch nicht angegraut.
Gut, um den häuslichen Frieden zu sichern, greife ich zu Notmaßnahmen. Denn hierzulande ist ein mir unverständlicher Feiertag - der hat etwas mit der frühen Christianisierung im Großmährischen Reich zu tun - und somit haben Friseursalons geschlossen. Das heißt speziell, her mit der Haarschneidemaschine, den Aufsatz für die längste Länge drauf und runter mit den Haaren. Sehe danach um zehn, ach was, zwanzig Jahre jünger aus. Doch das bringt uns auch nicht ins Finale. Ein Jammer.
Habe noch in der Nacht im Halbstundentakt Kurznachrichten eines Freundes aus meiner ehemaligen Wahlheimat bekommen. Erst hieß es, dass Italien besser war. Anschließend waren sie klar besser, schließlich sogar eine Klasse besser. Zu guter letzt fehlte auch nicht die Behauptung, dass AustrALIEN sie näher an einer Niederlage hatte als wir. Darauf habe ich dann nicht mehr geantwortet.
Lies ein Buch!
Habe tagsüber viel Zeit, die ich auch nutze, um meine Campingausrüstung zusammen zu stellen und ein paar Unterhosen und T-Shirts zu packen. Ich lese sogar ein Buch und finde es gut! Dabei geht´s überhaupt nicht um Fußball. Dann also los zu meiner Abschiedstour in den Biergarten. Alle warten bereits auf mich und erkennen mich sogar wieder, obwohl ich nicht mehr die Torsten Frings Frisur trage. Well done!
Der Biergarten ist fest in gallischer Hand, das hört man, als ein Drittel der Leute die Marseillaise mitsingt. Es ist ja sowieso ein Mirakel, sie ist die meist mitgesungene Hymne. Ein Revolutionslied eben über die Tage des Ruhms und den Kampf gegen die Unterdrückung. Das kann man immer singen – finden auch die Franzosen und tun dies, wann immer sie eine besondere Gefühlsregung ausdrücken möchten. An diesem Abend hören wir das eigentlich recht einfache Liedchen noch öfter.
Frühe Christianisierung
Das liegt unter anderem daran, dass Frankreich im Halbfinale spielt. Und auch daran, dass wohl niemand im Biergarten portugiesisch spricht, die Sprache des Gegners. Und vor allem daran, dass Frankreich am Ende gewonnen haben wird, dank eines Elfmeters. Den wiederum niemand anderes als der göttliche Zidane verwandelt. Von dem ich aber nicht weiß, ob er überhaupt Christ ist und ob er die Slawenapostel Cyrill und Methodius kennt, die dieses Land christianisiert haben. Doch wie man weiß, war dieser Erfolg nur vorübergehend, wie eine Fußball-WM oder der WM-Titel.
Portugal ist nicht wirklich schlecht, doch konzentrieren sie sich viel zu sehr darauf, auch einen Elfmeter zu bekommen. Denn der von Henry herausgeholte war zwar berechtigt, doch auf jeden Fall auch wiederum klug herausgefallen. Der Schiedsrichter ist jedoch aus Uruguay und hat seine gelben Karten zu Hause gelassen. Das fällt nun wirklich auf, die FIFA hat den Unparteiischen wohl gesagt, möglich die besten Spieler im Endspiel sehen zu wollen. Und so werden Aktionen in beiden Halbfinalen nicht mal mehr gepfiffen, für die in der Vorrunde bereits gelbe und rote Karten gezeigt wurden. Ja, ja, die FIFA, ein Mafiahaufen ist das doch...
Italienische Provokationen
Eins jedoch kann ich gar nicht verstehen - nicht nur ich. Nämlich eine Gruppe Italiener, die irgendwann etwas in ihrer Landessprache gegen die offensichtlich frankophile Menge skandiert. Niemand versteht die Muttersöhnchen, keiner hat Verständnis für sie. Sie sind heute einfach nicht dran, dort spielen die beiden besten Teams der Welt, gegen die Italien nur Prügel beziehen würde.
Ach ja, der Italiener. Wenn Männer eigentlich nur große Kinder sind, gilt das für Italiener um so mehr. Nein, anders, Italiener sind erst gar keine Männer. Es sind bloß behaarte Kinder, die am liebsten ihr ganzes Leben bei Mama leben würden.
Ein Volleyball-Torwart
Frankreich gewinnt zwar das Spiel, doch treiben sie ihre Nonchalance am Ende sehr weit. Torsteher Barthez zwingt Luis Figo, das ist sozusagen der andere, der portugiesische Zidane, der Erleuchtete mit der Fatima-Erscheinung, zu einem Kopfball! Also nochmals, Barthez zwingt mit einer kuriosen Volleyball-Einlage den anderen Figo, nein, den echten, zu einer Kopfball-Erleuchtung, also einem Versuch, den Ball mit dem Kopf - also, Luis Figo und Kopfbälle! Es sah kurios aus, doch der erleuchtete Figo köpfte letztendlich drüber.
Und dann diese letzten Minuten, Nachspielzeit und so, wenn Portugal stets aufdreht. In dieser Phase haben sie meist mehr Chancen als im gesamten Spiel zuvor. Und scheitern. Trotz liebenswürdiger Mithilfe von Barthez, der Abwehr und sogar von Zidane, der in der dritten Minute der Nachspielzeit zwanzig Meter vor dem eigenen Tor einen Ball verliert. Mit Glück und Geschick rettet sich die grande nation ins Finale, das ich wiederum im Biergarten gerade bereits gegeben habe.
Adieu WM! Dies muss ich noch ausgiebig mit meinen Freunden diskutieren, die ich alle im Club der WM-Verlierer begrüße (mich eingeschlossen). Dazu zitiere ich die mutmaßlich einzigen staatstragenden Worte unseres Präsidenten, dem ehemaligen Weltsparkassen-Irgendwas: Sie werden es kaum glauben, doch am Ende kann auch bei dieser WM nur eine Mannschaft gewinnen. Recht hat er.
Morgen also mache ich mich auf in jenes merkwürdige Land der Nibelungen. Wo sie die Steuern erhöhen, während das Volk sich an der WM berauscht und laut Zentralorgan nie wieder nüchtern werden will. Kein Wunder, denn einer muss ja die Rechnung zahlen.
Tja, hier endet das Tagebuch meiner WM aus Prag, morgen schreibe ich ein anderes Kapitel. Doch wie das in unserem Land so ist, wer weiß, ob ich einen Internet-Anschluss finde. Fahre übrigens vom Land der Nibelungen weiter ins Land der Gallier und versuche jenes widerspenstige Dorf irgendwo in der Bretagne oder Normandie zu finden, dort, wo Frank Ribery herkommt.
Au revoir!
Ihr deutscher WM-Beobachter in Prag
P.S.: Noch offenstehende Fragen googeln Sie besser selbst nach, auch die bereits scheinbar beantworteten. Und nochmals ein dringender Aufruf: Wer kann mir etwas über den Verbleib des Stroessner-Regimes in Paraguay berichten?