Saarbrücken/Prag - Tag 29: Ich wundere mich immer noch über die vielen italienischen Fahnen. Bin heute in einer deutschen Landeshauptstadt, von der man mit der Straßenbahn ins benachbarte Ausland, dem Land des Finalteilnehmers Frankreich fahren kann. Französische Fahnen? Eine einzige, auf einem französischen Auto mit französischem Kennzeichen. Sonst sehe ich immer noch viele Unsrigen-Fahnen und eben italienische.
Ich mache also ein Experiment und bestelle in einem italienischen Eiscafé (in der Fremdsprache: gelateria) ein Eis. Der offensichtlich italienische Gelatero hat richtiggehend schlechte Laune. Es scheint also keinen Spaß zu machen, im Endspiel zu stehen.
Mir hingegen, ja, mir geht´s einfach gut, ich lächele, lache und freue mich, keine Anspannung mehr da, ob Dritter oder Vierter - ist doch scheißegal. Hauptsache nicht im Viertelfinale ausgeschieden.
Ne Fahne? Keinen interessiert´s
Mache die erstaunte Feststellung, dass neue Fahnen auf dem Markt eingetroffen sind. Kleine für auf´s Auto gibt es schon für einen Euro, größere für drei. Doch, was soll ich noch mit einer Fahne, die WM ist ja bald vorbei und ich habe nur ein zweitüriges Auto - also mit der Heckklappe sind es drei -, zumindest fehlt mir hinten die herunterkurbelbare Scheibe, die mir Bedingung für das Anbringen von Fähnchen zu sein scheint. Nach der künstlichen Verknappung der Artikel - Fahnen sollen ja ausverkauft gewesen sein - taucht derselbe Artikel, in Lagern gehortet, als Ramschware wieder auf. Da haben die deutschen Kicker dem Handel einen ordentlichen Strich durch die Wucherrechnung gemacht. Danke Jungs!
Es ging ja so weit, dass ein Laden aus Fahnenmangel eine alte DDR-Fahne ausgegraben hat. Die stammte sicher noch aus den 80er Jahren, als Erich Honecker seine alte Heimat besuchte. Ansonsten arbeiten die Auslagen von Läden immer noch verstärkt mit Fußball-Artikeln. Sogar die Reizwäsche von Beate Uhse ist darauf abgestimmt: Tangas mit Fahnenaufdruck verschiedener Teilnehmerländer. Nur die Innenstadt-Prostituierten sitzen wie immer vor ihren Schaufenstern und haben sich nicht eigens geschmückt. Sicherlich ist deren Umsatz zurückgegangen.
Fußball als Auslegeware
Tja, man sieht in den Fußgängerzonen noch die Nachwirkungen der Fußball-WM, an den Häusern hängen noch Flaggen. Mir fällt dabei auf, wie viele Häuser an ihren Fassaden tatsächlich noch Vorrichtungen für das Befestigen der Tücher mit Nationalsymbolen besitzen. Aha.
Aber die WM scheint doch schon irgendwie vorbei zu sein. Niemand spricht mehr darüber, das Zentralorgan appelliert massiv an Guru Klinsmann, er müsse bleiben. Doch besonders gut verkauft sich das Blatt nicht mehr. Es häufen sich die Anzeichen, dass unser Abschlussspiel gegen Portugal doch nicht mehr ernst genommen wird. Es fallen wahrscheinlich aus: Kapitän Ballack - der hat ja schon das Eröffnungsspiel verpasst -, Lulatsch Mertesacker - für ihn darf Robert The Berlin Wall Huth (sprich: Hoss) ran -, Arne Friedrich - die Rückpassmaschine aus Berlin -, vielleicht auch Tim Borowski - der beste Ballack aller Zeiten -, und Ersatztorwart Kahn wird zwischen die Pfosten postiert.
Wir zählen die Verwundeten
Ehrlich mal, Hand auf´s Herz, wie hätten wir mit einer solchen Mannschaft ein Finale bestreiten sollen? Da hätten wir uns ja nur blamiert. Nein, im Nachhinein gesehen ist es eigentlich besser, nur das recht bedeutungslose Spiel um Platz drei absolvieren zu müssen. Ich bin den Italienern für die Niederlage regelrecht dankbar und beschließe, doch weiterhin italienische Schuhe zu kaufen.
Nur eben nicht in Italien, sondern im Herstellerland. In Rumänien. Dort kosten sie nämlich höchstens ein Drittel. Und die Verkäufer sind dort auch netter. Und überhaupt, dies ist das Land, das mir am meisten bei dieser WM gefehlt hat. Meiner Lebensbegleiterin übrigens auch. Vielleicht dann beim nächsten Mal, la revedere!
Ihr deutscher WM-Beobachter in Prag in Saarbrücken