Prag - Tag 26: Tagsüber begegne ich Landsfrauen, die deutsche Fahnen als Wickelrock tragen. Komische Mode, deshalb sind die also bei uns ausverkauft. Hüte mich, meine muttersprachliche Zunge zu benutzen und schlängele mich durch die Menschenmassen hindurch.
Am Abend steht das Halbfinale gegen Italien auf dem Programm. Zum letzten Mal trifft sich der Rat der vier Fußballweisen im WM-Studio am Petersplatz, zum letzten Mal kann er Empfehlungen aussprechen für den weiteren Verlauf der Fußballgeschichte.
Meine erste Empfehlung lautet: Die FIFA muss Italien disqualifizieren und sich anschließend selbst auflösen, um sich als kleiner, unbestechlicher, unbescholtener Verband wieder zu gründen. Die FIFA wirkt nämlich wie Schlangengift: Sie lähmt allmählich das ganze normale Wirtschaftsleben, dann verschlingt sie dich und du musst auch noch danke sagen. Meine Freunde in einer der befallenen Regionen, wo immerhin vier Spiele stattfanden (unter anderem das legendäre Spiel Ukraine - Schweiz), haben mir das bestätigt und eine FIFA-freie Republik gegründet.
Nichts Neues
Nun ja, das Spiel gegen die Erzfeinde, gegen die wir stets verlieren, steht auf dem Abendprogramm. Ich bin kein bisschen nervös, denn wenn diese Fußball-WM eines bestätigt, dann das: Es ist so, wie es immer war. Das wissen auch unsere Spieler und haben im Vorfeld Witze darüber gemacht. Es war immer so, war immer so...
Wir setzen uns also vor den Fernseher, der halbierte Rat der vier Fußballweisen, und fachsimpeln über die neue slowakische Regierungskoalition, das Geschehen im einheimischen Parlament, wo nach den Wahlen, die zu einer Zeit jenseits meines Vorstellungsvermögens stattfanden, also vor der Fußball-WM, eine Art Schockstarre herrscht. Und natürlich über Englands unbefriedigendes Abschneiden bei dieser WM. Das hat sich auch auf das Sms Voting niedergeschlagen, der angolanische Spieler Akwa hat dort mittlerweile Frank „bastard“ Lampard vom ersten Platz verdrängt.
Echt nichts Neues
Das Spiel, ja das Spiel läuft so, wie ein Spiel unter Beteiligung eben läuft. Der italienische Gegner sieht leicht überlegen und spielbestimmend aus. Doch das täuscht. Chancen gibt es so gut wie keine, ab und zu scheinen die Italiener dann auch mal nach vorne zu spielen und werden gefährlich.
Leider hat man gegen Italien in der Regel nur drei gute Chancen im Spiel. Die vergeben Schneider und Podolski. Es folgt also eine Verlängerung, uns geht allmählich der Gesprächsstoff aus, so dass wir uns wieder auf das grausame Geschehen konzentrieren müssen.
Wirklich gar nichts Neues
Es ist doch eigentlich so, wie es der ehemalige Fußballtrainer Luis Cesar Menotti, jetzt der anerkannteste Fußballphilosoph der Welt, beschreibt.
Es gibt einen linken Fußball, voller Utopie und Hingabe an das Spiel. Und eben Italien, also den rechten Fußball. Der will das Spiel kontrollieren und dem Gegner die Freude am Spiel nehmen. Ein italienischer Spieler weicht niemals von der taktischen Vorgabe des Trainers, also des Duce ab.
Das wäre ja alles nicht so schlimm, wenn sie nicht solche Muttersöhnchen wären, die sich nach jedem Foul die unmöglichsten Körperteile halten, die angeblich in Mitleidenschaft gezogen worden sind. Es ist eben genau diese hinterlistige Art und Weise, die Fußball-Italien in der ganzen Welt verhasst macht. Denn so gut ist Italien nur deshalb, weil die Spieler großes Talent besitzen, wie bei dem Nulleins kurz vor Schluss zu sehen ist.
Absolut gar nichts Neues, echt!
Unsere Spieler sind schlicht und einfach irgendwann müde nach dem aufreibenden Spiel gegen Argentinien. Das nutzt Italien natürlich gnadenlos aus und haut uns am Ende noch zwei Bälle rein. Im ganzen Spiel haben sie kaum etwas gemacht, sondern wie die Giftschlange auf diesen einen Moment gewartet und zugebissen.
Aus der Traum. Wie vor einem Jahr im Confederations-Cup spielen wir um Platz drei. Leider spielt Italien im Finale. Bleibt nur zu hoffen, dass sie das wenigstens verlieren.
Ertränke meinen leichten Ärger in Wodka in der Kellerbar und verprügle zu Hause meine italienische Lebensbegleiterin. (Das stimmt natürlich nicht, denn sie ist weder aus Italien noch bin ich gewalttätig.)
Ihr deutscher WM-Beobachter in Prag