Qatars Marketingtraum, ein Finale zwischen Mbappé und Messi, wird immer wahrscheinlicher. Dem stehen mit Marokko und Kroatien zwei Außenseiter im Weg.
Marokko schafft auch Portugal und steht im Achtelfinale. Jammerschade, dass Portugals feine Spielkultur und Offensivspiel an Marokkos Kilometerfresserei und Gegen-den-Ball-Schufterei gescheitert sind. Zum wiederholten Mal schaffen es europäische Spitzenkräfte der Offensivabteilungen nicht, den Marokkanern ein Tor einzuschenken. Und nicht zum ersten Mal verhilft ein grober Torwartfehler der bescheidenen Offensivkapazität zum Erfolg. Hinten helfen wir uns selbst und vorne hilft uns der liebe Gott bzw. Alhamdu lilah, so die jahrzehntelang überlieferte Taktikmaxime des Spaßverhinderns aller groben Außenseiter. An diesem Spiel hat dann nur derjenige Freude, der es immer schon mit dem vermeintlich Kleineren hielt und dem die Ethik über die Ästhetik geht.
Ladehemmung immer gegen Marokko
Weil Bruno Fernandes nicht traf, als er frei aus aussichtsreicher Position abziehen durfte, Pepe ganz am Ende einen Kopfball am Tor vorbeisetzte und Cristiano Ronaldo bei seinen letzten WM-Minuten kaum mehr Torgefahr als Thomas Müller verströmte, hat das ewige Duell David gegen Goliath im Halbfinale eine Fortsetzung. Qatar poliert mit gutmeinender Generosität sein panarabisches Image auf, wo sonst hochnäsige Herablassung gegenüber den armen Vettern aus Nordafrika vorherrscht. Wo endet das arabische Fußballwunder? Wenn es auf knallharte Geschäftsinteressen qatarischer Fußballinvestitionen trifft?
Seltsam, wie die Weltmeisterschaften immer wieder Ergebnisse produzieren, die in die vorgefertigten Narrative für die Imagepflege passen. Eine WM in einem superreichen arabischen Zwergstaat und ein arabisches Land schafft es zum ersten Mal bis in die letzten Runden des Turniers. Und nicht nur das, gleich der ganze afrikanische Kontinent wird durch eine Mannschaft miterlöst, die ohne die Fußballschulen ehemaliger Kolonialmächte und deren ewigen Hunger auf die Zu-allen-bereiten-Deklassierten in den Hinterhöfen der Migrantenviertel von Europas Großstädten gar nicht möglich wäre. So sehr ich Marokko den hart erarbeiteten Erfolg auch gönne und die Spieler für ihre aufopferungsvolle Hingabe an den Kampfgeist lobe, irgendwie bleibt bei mir ein fader Beigeschmack bei diesem Fußballwunder – und das nicht nur, weil mich ein Spiel Spanien gegen Portugal bzw. Portugal gegen Frankreich im kommenden Halbfinale verheißungsvoller klingen.
Cristiano Ronaldo geht
Auf jeden Fall hat Cristiano Ronaldo die WM durch die Nebentür verlassen. Auf dieser Bühne hat er nie die ganz große Rolle gespielt. Er hält natürlich auch dort einen Rekord, er ist der einzige, der bei fünf Turnieren getroffen hat. Bezeichnend, dass sein größter Auftritt, ein Dreierpack gegen Spanien, nur ein Vorrundenspiel war (2018). Dem Über-Ehrgeizigen bleibt die Rolle des Superhelden beim globalen Festival der Balltreter auf ewig versagt.
Nach dem ermüdenden Viertelfinale legte ich mich tatsächlich ins Bett und so ein Viertelstündchen Schlummer dürfte auch dabei herausgekommen sein. Irgendwann legte sich meine Tochter dazu und ich las deutsche Gedichte nach 1945, um die Zeit zu überbrücken. Zum Anpfiff von Frankreich gegen England war ich dann topfit und motiviert.
Störmanöver telefonisch
Ich bekam den Anruf einer früheren Bekannten, die sich gerade in Prag aufhielt, musste aber das unzweideutige Angebot, mich in das Ausgehviertel Žižkov zu begeben, dankend ablehnen. Ich brauchte weder Fußball noch meinen Gesundheitszustand als Ausrede hervorzukramen, der Hinweis, ich müsse auf meine Tochter aufpassen, da deren Mutter abgängig wäre, genügte. Als wir den Anruf beendeten, schoss Frankreich den etwas überraschenden Führungstreffer. Ein Mittelfeldspieler zog aus 25 Metern einfach mal ab und überrascht Pickford in der linken unteren Ecke. Solche Tore schießt Frankreich also auch, staunte ich. Diese Mannschaft ist echt schwer zu schlagen, wenn sie nicht gerade mit der B-Elf aufläuft.
Bestes Spiel des Turniers
Das Tor tat dem Spiel gut, denn England konnte sich das Taktieren gleich ganz sparen und brachte Frankreich immer wieder in Bedrängnis. England hätte zur Halbzeit den Ausgleich schon verdient gehabt, der dann per Elfmeter nach der Pause fiel. Und England blieb am Drücker, drängte auf das zweite Tor, doch dann genügten Frankreich fünf gute Minuten und Giroud köpfte das 2:1. Wieder gab es Elfmeter für England, Harry Kane ließ die zweite Ausgleichschance liegen und schoss zwar scharf, aber auch hoch. Und noch mit der letzten Aktion des Spiels bedrohte Rashford das französische Weiterkommen durch einen gut, aber nicht perfekt getretenen Freistoß. Dann war das bisher beste Spiel dieser WM zu Ende, der Titelverteidiger mit Mbappé im Halbfinale.
Was machen jetzt die Marketingstrategen des qatarischen Fußballinvestments? Geraten sie in Versuch, die Narrative nochmals umzuschreiben auf „arabisches Fußballwunder geht weiter“? Oder bleibt es beim show down: Wer wird der König im Turnier von Tausendundeiner Nacht, Mbappé oder Messi? Es bleibt spannend, wenn ich auch überzeugt bin, dass es Menschen auf dieser Welt gibt, die dieses Ergebnis jetzt schon kennen.