Prag - Tag 25: Heute habe ich einen interessanten Auftrag, bei dem ich sehr viel über einheimische Wallfahrtsorte in Böhmen, Mähren und Schlesien erfahre. Zu den schlesischen Wallfahrtsorten kommen häufig auch Slowaken gepilgert, zu den südböhmischen Österreicher und zu den schlesischen auch Polen. Obwohl die Polen ja derer wahrlich selbst genug haben.
Aber genützt, nein, genützt hat es ihnen nicht viel, weder den frommen Polen, noch den heidnischen Einheimischen. Ob Wallfahrten und Marienkult oder eben nicht - in der Vorrunde war für beide Schluss.
Als kleines Präsent erhalte ich eine Flasche Messwein. Den trinke ich abends mit meiner Lebensbegleiterin genüsslich, als ich mir nochmals England gegen Portugal anschaue. Interessanterweise ist der hiesige Messwein weiß, während ich ihn aus meiner Heimat nur in der roten Version kannte. Aber schmecken tun natürlich beide.
The unwritten law
England hat ja wahrlich nicht schlecht gespielt, sogar eine Stunde lang mit einem Spieler weniger. Aber gereicht hat es dann nicht. Ich denke darüber nach, warum das eigentlich so ist. Und mir fällt eine Diskussion ein, die ich mit Nick vor zwei Jahren nach dem Viertelfinal-Aus gegen Portugal im Elfmeterschießen (sic!) führte. (Das war damals die EM.)
Ich wollte wissen, warum ausgerechnet der Ehemann von Victoria Beckham zum Elfmeterschießen antreten musste. Der hatte im Verlaufe des Turniers zuvor bereits zwei Mal versagt. „He is the England captain“, lautete die selbstverständliche Antwort. Und damit war für Nick der Fall klar. Der muss vorangehen, egal was aus der Mannschaft wird.
Während ich also zwei Stunden torloses Spiel betrachte und anschließend stümperhaftes Elfmeterschießen - nun, zugegeben, der portugiesische Torhüter Ricardo war fast so gut wie Jens Lehmann -, denke ich über diese Antwort nach. Im englischen Fußball scheint es also „unwritten laws“ zu geben, die dem englischen Fan als Begründung ausreichen. Mir aber schwer zu denken geben. Darin ist also das Geheimnis des dauerhaften englischen Misserfolgs verborgen.
Spielmacher ohne Anspielstation
Etwa so, du hast drei Mittelfeldstars, jeder für sich kann eine ganze Mannschaft antreiben. Der eine ist auch noch der Captain und spielt für einen ausländischen Großclub, die anderen spielen für englische Großclubs. Also setzt man alle drei ein in der Hoffnung, dass sie sich irgendwann auf dem Platz auch verstehen. Dafür spielt man dann aber nur mit einer Spitze, denn das zu offensiv ausgerichtete Mittelfeld muss nach hinten abgesichert werden. Jetzt haben aber die drei Antreiber im Mittelfeld ein Problem, denn vorne gibt es nur eine Anspielstation, die von zwei, drei, vier Gegenspielern abgeschirmt wird.
Aber ein unwritten law verhindert wahrscheinlich, einen der drei großen Namen auf die Bank zu setzen bzw. immer abwechselnd einen draußen zu lassen (man nennt das in Fußball-Deutsch „Rotation“), damit die sich nach ihren 60 bis 70 Meisterschaftsspielen (wenn man alle Wettbewerbe zusammen nimmt) zwischendurch ausruhen können.
Ist es eine solche innere Logik, die stets verhindert, dass England seine beste Mannschaft auf´s Feld schickt, dafür aber die größten Namen? Es wird mir ein Rätsel bleiben. Doch nun gut.
UNO-Truppen nach FIFA-Land!
Habe dann später auf CNN erfahren, dass die FIFA unseren letzten Mattenträger, Torsten (oder Thorsten?) Frings sperrt. Nach Fernsehbildern des italienischen Fernsehens! Man weiß doch, was in Italien gerade abgeht, da lässt man so etwas zu! Ein Skandal! Dort müssten die vier größten Fußballclubs aus der ersten Liga rausgeschmissen werden, weil sie manipuliert, bestochen, betrogen und gedroht haben! Und dann wertet man Fernsehbilder aus und sperrt Frings, nachdem die Argentinier ausgerastet sind und nach dem Elfmeterschießen unsere Spieler zusammentreten wollten!
Die FIFA traut ja dem eigenen Urteil nicht und hat etwas ganz neues erfunden, die Sperre auf Bewährung. Ein Spiel Sperre - also das Spiel gegen Italien - und ein Spiel Sperre auf Bewährung. Glauben die Herren jetzt, sie sind eine staatliche Justiz?
Nein, glauben sie nicht, sie glauben, die sind mehr. Und sperren den Europameister Griechenland und alle seine Vereine von allen internationalen Wettbewerben. Wer ist diese FIFA, die einem souveränen Staat, Mitglied der EU - zugegeben, sie haben vor die Euro-Einführung kreative Buchhaltung geführt - Erfinder der Olympischen Spiele, der Demokratie, des westlichen philosophischen Denkens vorschreiben will, wie deren Sportgesetze auszusehen haben?
Hans Peter Briegel führt Hellas zum Scudetto
Haben nicht sogar die alten Griechen den alten Römern den Fußball gebracht? Denken Sie zurück an das Jahr 1985, wer wurde damit italienischer Meister mit Hans Peter Briegel? Hellas, ja, Sie hören richtig, Hellas Verona. Und was betrieb Briegel ursprünglich für einen Sport? Ja, den olympischsten von allen, den Zehnkampf.
Ist da nicht einigen Herren der Sponsoren-Champagner zu Kopf gestiegen, haben sie etwa einen verdorbenen Hummer gegessen? Ich fordere im Namen aller klar denkenden Menschen die UNO auf, sofort einzumarschieren, Sondertruppen nach FIFA-Land zu schicken, die Verantwortlichen vor ein Sondergericht zu stellen und wegen Erhabenheitsanmaßung zu verklagen. Außerdem müssen sie das FIFA-Regelheft auswendig lernen und öffentlich und vor laufender Kamera erklären, was Abseits ist.
Nein, ich bin empört und hoffe nur, dass wir morgen endlich mal Italien schlagen. Doch diese WM ist ja zwar angeblich die beste aller Zeiten, andererseits aber auch die langweiligste - nicht, was die Spiele betrifft, sondern die ausbleibenden Überraschungen. Alle Mannschaften verhalten sich so, wie man es in etwa erwarten konnte. Wenn diese Logik stimmt, verlieren wir gegen die Mafia, wie immer. Siegfried wird von Hagen hinterrücks gemeuchelt
Dann wirklich gute Nacht, Fußball, und vor allem farewell, FIFA, hoffentlich ohne ein Wiedersehen.
Ihr deutscher WM-Beobachter in Prag