Die alte Regel, ja die alte Regel, aufgestellt zu Beginn des Turniers, sie bewahrheitet sich wieder. Bei einer Eh Emm hat man nur ein Team – sein Team. Mit anderen Teams mitfiebern? Unsinn. Ich habe es in diesem Turnier schon mehrfach erlebt. Ich freunde mich mit ein paar Türken in Fred's Bar an und die Türkei verliert. Dann fiebere ich mit Fred und seinen Schweden, die Skandinavier scheiden aus. Ich gehe zu den Kroaten beim Achtelfinale, es bedeutet deren Ende. Noch davor schaue ich mir die Tschechen mit einem tschechischen Freund an, was soll ich sagen, sie verlieren. Und mit einem Iren fiebere ich auch ein bisschen mit, doch Frankreich haut die Insulaner in der zweiten Halbzeit glatt weg. Mit wem auch immer ich bisher fremdgegangen bin, es bedeutete deren Ende. Einzig Island hat mich durch die Stimmung nach dem Brexit und im Rieger-Park-Stadion mitgerissen, doch das war sozusagen ein spontaner Ausrutscher, soll mir nicht wieder passieren.
Lewandowski früh
Nun, ich gehe also ins besagte Rieger-Park-Dings und setze mich zu meinen alten Bekannten, die wiederum bei polnischen Fans sitzen. Klar, wir fiebern mit. Meine wettbesessenen Bekannten setzen auf Polen, ich mich neben einen jungen weiblichen Fan in knappem polnischen Trikot, später zieht sie einen Polen-Micki an. Ich habe also eine charmante Nachbarin, die auch so richtig mitfiebert. So schön unschuldig, voller Leidenschaft. Ich bin davon angetan und jubele natürlich auch mit, als Lewandowski nach knapp zwei Minuten zur Führung abzieht. Vorausgegangen war ein schlimmer Patzer eines portugiesischen Verteidigers. Tja, Fußball ist eben Kopfsache und manchmal muss man den benutzen, um den Ball mit ebendiesem Körperteil auch zu abzuwehren.
Das Spiel ist rassig, nebenan sitzt ein portugiesischer Rasta und seine Zigarette stinkt fürchterlich nach Hasch. Ich wechsle mit meiner Nachbarin gleich die Meinung, Kiffen und Fußball gehören nicht zusammen.
Polnische Kraftmeier
Polen spielt dynamisch, kraftvoll, manchmal zu sehr auf die reine Physis setzen. Portugal ist technisch etwas besser und kommt zu Chancen und zum Ausgleich. Nicht Cristiano Ronaldo besorgt den, der hat mit diesem Tor absolut nichts zu tun, sondern ein Bruder des bekifften Rasta-Portugiesen, Sanchis oder so ähnlich. Govno, äh, kurva, äh, Scheiße halt. Aber wir feuern wieder an, ich und die Polen. Übrigens leitet der Deutsche Brych das Spiel und muss sich natürlich zunächst hämische Bemerkungen gefallen lassen. Ein Deutscher? Die Deutschen hassen die Polen. Ja, seit wann das denn, davon habe ich noch nie etwas gehört, die Deutschen haben die Polen stets gemocht, irgendwie, als Bergarbeiter, Bauarbeiter, Bauern. Nur nicht so sehr als Bierbrauer, denn meiner Erfahrung nach haben die großen polnischen Marken durchaus unangenehme Nachwirkungen. Reine Kopfsache, eben. Natürlich höre ich dann, wer mag eigentlich die Deutschen? Niemand, antworte ich, aber daran ist uns auch nichts gelegen, denke ich mir. Ihr sollt uns nicht mögen, sondern unsere Autos und Waschmaschinen kaufen und vor unserem Fußballteam in die Knie gehen.
Polen fährt auf Reserve
Zweite Hälfte, unsere Kräfte schwinden allmählich. Unser Spiel sieht nicht mehr ganz so wuchtig aus und Lewandowski weicht auf die Flügel aus oder hilft beim Spielaufbau. Da fehlt er natürlich als Abnehmer in der Spitze. Der Portugiesen-Rasta nebenan schmaucht noch eine seiner Stinkzigaretten, ich versuche die giftigen Rauchschwaden von mir und meiner Nachbarin wegzupusten. Die wendet sich neben der Leinwand vermehrt ihrem inzwischen eingetroffenen Bankgegenüber zu, mit dem sie wahrscheinlich weitergehende Pläne hegt. Dafür sind die polnischen dziewczyi ja bekannt. Macht nichts, denke ich mir, habe mir sowieso nichts ausgerechnet.
Verlängerung, Elfmeterschießen, aus
Dann geht das Spiel in die Verlängerung über, die Portugiesen sehen trotz kiffen irgendwie etwas frischer aus. Nur dann und wann kommen die Polen in Gewaltmärschen nochmals an die Front, schießen aber äußerst jämmerlich und treffen höchstens die Anzeigentafel. Auswechslungen helfen auch nichts mehr, Cristiano Ronaldo tritt in aussichtsreicher Position ein Luftloch und muss sich hämisches Lachen von den Zuschauerrängen des Rieger-Park-Stadions gefallen lassen.
Wenn gar nix mehr geht, muss halt wieder mal das gute, alte Elfmeterschießen her, um doch noch für einen Emotionshöhepunkt zu sorgen. Leider hat Polen sein Glück im Elferballern im Achtelfinale aufbrauchen müssen. Außerdem sitze ich hier und fremdfiebere mit Deutschlands östlichem Nachbarn, dessen Volksangehörige bald massenweise England verlassen müssen. Kurz und gut, der hinlänglich bekannte Mann aus Dortmund, zweifacher Torschütze im bisherigen Turnierverlauf, der mit dem einschüchternden Namen Blaszczikowski, scheitert am reaktionsschnellen Keeper. Alle anderen treffen souverän und ruck zuck ist das Rieger-Park-Stadion zur Hälfte geleert. Nur das Häufchen Portugiesen jubelt noch. Wahrscheinlich gibt es gleich noch eine dieser Stinkzigaretten. Pfui, und dann auch noch gewonnen.
Portugal im Halbfinale, nach vier Unentschieden und einem Sieg in der Verlängerung. Ist Portugal das neue Italien?
A propos Italien. Ich überlege bereits, wie ich mich unbemerkt unter die italienischen Fanhaufen mischen kann und mit ihnen mitfiebern. Vielleicht klappt es dann ja noch mal.