Es ist geschafft, die Vorrunde hinter uns und damit gibt es ab sofort keine bedeutungslosen Spiele mehr, atmet Gerd Lemke auf.
Welche Erleichterung, endlich ist diese ganze, mit Verlaub, Scheiß-WM an einen wichtigen Wendepunkt angelangt, die Vorrunde ist vorbei! Europa hat sich nicht bis auf die Knochen blamiert, aber außer den Niederlanden hat es sich schwer getan. Italien und Frankreich, letztlich noch Gegner im Finale, sind blamabel nach indiskutablen Leistungen rausgeflogen, ob Berlusconi und Sarkozy das überleben, entscheidet sich stündlich. Jetzt noch ein Patzer beim G 20 Gipfel (zu dem Berlusconi gar nicht eingeladen ist, oder irre ich mich da?), dann erfolgt unweigerlich die Auswechslung und der Transfer in die zweite Liga, mindestens, oder nach Belgien in die Jupiler-Liga. Dies ist bereits und wird noch viel mehr die WM der Südamerikaner. Aber memento mori, Italien ist in einer Gruppe mit Neuseeland, Paraguay und der Slowakei letzter geworden, Neuseeland, Slowakei und Paraguay, Madonna mia, mit der Slowakei, Neuseeland und Paraguay, das kannst du absolut nicht glauben!
Für heute steht auf dem Papier ein echter Knüller auf dem Programm, Brasil gegen Portugal. Ich begebe mich auf den bereits hinlänglich bekannten náměstí Hyundai Fan Park Il Sung aka Altstädter Ring bzw. Staroměstské náměstí, was echt lang ist und in diesem Text nur noch als das Herz der Finsterniss tituliert wird. Die Sonne scheint, die brasilianischen Fans sind gutgelaunt und ich lerne ein neues Wort: vai. Die Portugiesen sitzen herum und bangen, für sie könnte es ja noch um etwas gehen, aber Spannung kommt nicht wirklich auf. Hinter mir grölt eine Gruppe aus Leeds, ich denke mir zunächst, was machen die denn hier. Dann fällt mir ein, dass sie endlich mal ein Fußballspiel sehen möchte, nicht dieses Gewürge der Three Lions, das uns in 260 Minuten von 286 (inclusive Nachspielzeit) einfach nur angeödet und angeekelt hat wie englisches Essen. Dann kommt der Regen, in dicken Tropfen, aber überhaupt nicht dicht, ein Hungerkünstler wäre bei geschickten Bewegungen überhaupt nicht nass geworden. Hier lerne ich auch die Vorzüge der englischen Sangeskunst schätzen, sie bleiben stehen wie ich auch. Mensch, das ist Fußball, das schaut man sich auf Stehplätzen und notfalls im Regen an! Noch ehe die meisten ihre Plätze richtig verlassen haben, hört der Regen wieder auf.
Eine Gruppe brasilianischer Mädchen neben mir fiebert bei jedem Ballkontakt des eigenen Teams mit und schreit: Vai! Das ist nett anzuhören und sie sind nett anzuschauen und ich erkenne, dass an der Schaffung der Nation im Namen von „ordem e progresso“ wohl alle europäischen Völker mitgearbeitet haben. Ich denke kurz an Gisela Bündchen und sehe, dass Carlos Dunga, der deutscheste aller Brasilianer jemals, Kapitän der Siegerelf von 1994, auf Bundesliga-Spieler setzt. Lucio (leider von dem bajuwarischen Großclub nach Mailand vergrault) und Juan (ehemals Leverkusen) bilden die Innenverteidigung, Josue und Grafite von VW Wolfsburg kommen rein etc.
Das Spiel selbst wird zunehmend schlechter, ohne die brasilianischen Fans wäre es gar nicht zum Aushalten. Trotzdem hat ein Portugiese eine unglaublich Chance, die er vorbeisemmelt, was tatsächlich unfassbar ist. Deutschland – Österreich 1982, beide Mannschaften können mit dem Ergebnis gut leben. Und taktieren auf den kommenden Gegner erübrigt sich, da diese Spiel erst abends stattfindet und in der Gruppe Y noch alle Konstellationen denkbar sind.
Als Randnotiz nehme ich später wahr, dass sich Nordkorea drei gegen die Elfenbeinküste gefangen hat, was aber eh egal ist. Brasilien gegen Portugal endet trost- und torlos, die Fans können nicht richtig jubeln und nicht richtig tanzen. Es ist, als ob du ein leckeres Eis bei fünf Grad im Nebel serviert bekommst.
Abendspiel, wieder im Herz der Finsterniss. Diesmal sorgen die spanischen Fans für gute Stimmung, singen, tanzen und gewinnen. Die paar Chilenen haben wohl schon geahnt, dass sich die lange Anreise diesmal nicht auszahlt. Da Otto Hitzhagel alias Ottmar Rehfeld etc. seine Schweizer Garde nicht auf Kurs bringt und gegen Honduras nur ein Nullnull erkämpft, kommt Chile vollkommen verdient weiter. In diesem Spiel gelingt David Villa überigens ein überragendes Tor aus 40 Metern halbspitzer Winkel und ich muss sagen, wenn der Mann nicht endlich nach Barcelona wechseln würde, sollte er unbedingt in Saarbrücken auflaufen. Es ist für mich sowieso ein Mirakel, warum er seinem klammen Club in Valencia so lange die Treue gehalten hat, der Mann ist ein Phänomen!
Und damit endlich Schluss mit der Vorrunde, damit ist die WM ja auch zu gefühlten zwei Dritteln vorbei, vier Tage noch Achtelfinale mit den Klassikern Deutschland – England und Spanien – Portugal, dann kann man endlich, endlich und endlich mal verschnaufen. Geb’s Gott!