Prag - Nach dem Deutschland-Drama vom Vortag ist es schwer, die beiden abschließenden Achtelfinale noch ernst zu nehmen. Argentinien gegen Schweiz, das Spiel hat natürlich einen klaren Favoriten. Der gewinnt auch am Ende, doch bis dahin ist es ein langer Weg und viel Zeit vor dem Bildschirm in Fred’s Bar. Die Schweizer machen das gut und schirmen Messi clever ab. Statt seiner probiert es immer wieder di María mit gefährlichen Schüssen. Die Schweizer stehen aber keineswegs nur hinten drin, sondern suchen ihre Chance. Shaqiri, beflügelt durch die Anwesenheit Messis auf dem Platz, setzt immer wieder schöne Dribblings an. Trotz der Torchancen ist das Spiel aber eher langatmig und Lexa erzählt von Mario Kempes. Ja, als wäre es gestern gewesen. Er nennt noch ein paar Mal Marius Trésor, das ist jedoch eine andere Mannschaft. Er lobt Karim Benzema, ich muss leider passen, habe das Spiel nicht sehen können. Angeblich haben sie die Nigerianer laufen lassen, bis diese müde waren und reif zum Abschuss. Im vorliegenden Spiel, Schweiz gegen Argentinien, wird einfach keine Mannschaft müde, niemand muss mit Krämpfen vom Platz getragen werden, niemand reanimiert.
Achtelfinal-Dramaturgie
Es ist das typische Achtelfinalspiel Groß gegen Klein. Klein spielt aufmüpfig, schnuppert an der Sensation und Groß muss aufpassen. Für Groß geht es nur darum, weiter zu kommen, dass die Schlüsselspieler nicht verletzt werden, keine unnötigen gelben Karten zu kassieren, um späteren Sperren vorzubeugen und nicht zu viel Kraft zu verschwenden.
Es ist das typische Achtelfinalspiel Groß gegen Klein. Klein spielt aufmüpfig, schnuppert an der Sensation und Groß muss aufpassen. Für Groß geht es nur darum, weiter zu kommen, dass die Schlüsselspieler nicht verletzt werden, keine unnötigen gelben Karten zu kassieren, um späteren Sperren vorzubeugen und nicht zu viel Kraft zu verschwenden. Klein macht das Spiel seines Lebens, Groß denkt bereits eine Runde weiter.
Es geht in die Verlängerung, ich deliriere bereits Maradona und die spanische Nationalmannschaft auf den Platz, um die zahlenden Gäste ein wenig zu unterhalten, schimpfe grundlos auf den schwedischen Schiedsrichter und finde alles in allem, dass der Ottmar nach der WM den Job von Löw machen könnte, der wird ja dann frei. Der Ottmar hat das immer ganz gut hingekriegt mit seinen Luxusmannschaften Borussia Dortmund und Bayern München. Da war das geldverschwendende Dortmund, wohin die WM-Helden von 1990 aus Italien zurückgekehrt sind, die 1997er Mannschaft mit Sammer, Kohler, Reuter, Möller, Riedle. Nach dem Gewinn der Champignon-Liga wurde das Management größenwahnsinnig, hat Hitzfeld vom Hof verjagt und das von ihm hinterlassene bestellte Feld gründlich nochmals umgepflügt. Dann war der Ottmar zwei Mal bei den Bayern und hat mit ihnen ebenfalls die Champignon-Liga gewonnen. Irgendwie hat es mit dem ruhigen Job als Bundestrainer nicht geklappt, nun macht den unser Schwarzwald-Guardiola und verprellt einen Spieler nach dem anderen. Hitzfeld hatte nie Probleme mit seinen Spielern, Löw hingegen scheint Konflikte zu schüren.
Löws Menschenführung
Kevin Kuranyi ist damals sicherlich nicht ohne Grund mit der Straßenbahn vom Länderspiel nach Hause gefahren, als Löw in statt ihn die Stammelf auf die Tribüne setzte. Kuranyi war derjenige, den Löw damals öffentlich erniedrigte. Kießling setzte er nicht einmal ein, als der in der Bundesliga ein Tor nach dem anderen schoss und Löw nach Verletzungen von Klose und Gomez ohne Stürmer dastand. Eine Chance versprach er Kießling, sich zu präsentieren. Gegeben hat er sie ihm nie, aber er hat auch nie klipp und klar gesagt, dass er ihn nicht will. Etwas ähnliches hat damals auch Michael Ballack über sein schlecht moderiertes Karriereende bei der Nationalmannschaft zu verstehen gegeben. Vor Ballack war es Torsten Frings, dem Löw einfach nicht klar sagen konnte, dass es vorbei ist. Löw hat einfach Probleme bei der Menschenführung. Jetzt ist es Großkreutz, den er demütigt, indem er auf dessen möglicher Position einen vollkommen Unbekannten einsetzt.
Erinnern Sie sich an Piotr Trochowski?
Auf der anderen Seite hat er aber auch stets seine Lieblinge, die er bevorzugt. Vor vier Jahren wechselte er immer wieder Piotr Trochowski ein, ohne dass der dieses Vertrauen je gerechtfertigt hätte. Von Trochowski gingen nur selten Impulse aus. In diesem Jahr ist es Mustafi, der das Fachpublikum staunen und über Löws Geisteszustand nachdenken lässt. Höwedes lässt Löw auf einer absolut unpassenden Position schlecht aussehen. Das ist ein anderes Element seiner Menschenführung, viele Spieler auf falschen Positionen zu verunsichern. Bei Hitzfeld liefe das ganz anders.
Der Ottmar beendet seine Karriere als Schweizer Nationaltrainer am selben Abend mit einer unglücklichen Niederlage gegen Turnierfavorit Argentinien. In der 117. Minute ist es dann so weit, Messi dribbelt einen Mitspieler frei, dem er den Ball rechts hinaus in den Sechzehner legt, der dann aus etwa zehn Metern ins lange Eck vollendet. Quasi mit dem Schlusspfiff köpft ein Schweizer an den Pfosten, der abprallende Ball springt ihm vom Fuß knapp neben das Tor, das wäre sie gewesen, die große Ausgleichschance. Damit ist alles wie gehabt, die Großen sind alle weiter, keiner hat sich mit Ruhm bekleckert, alle haben sich irgendwie durchgewurschtelt und Nebelkerzen über die wahre Leistungsstärke gezündet. Nominell sind die anstehenden Viertelfinale bis auf das Duell Deutschland gegen Frankreich klare Angelegenheiten, Brasilien gegen Kolumbien, Holland gegen Costa Rica und Argentinien gegen Belgien, das am Abend die Teilnehmerliste komplettiert. Die Halbfinale Argentinien gegen Holland und Brasilien gegen Deutschland/Frankreich nehmen konkretere Gestalt an.
Falscher Ort
Wir Europäer haben also genügend Zeit, in Erinnerung an die großen alten Teams zu schwelgen, Enzo Scifo, Eric Gerets, Pfaff, Preud’homme, Belgien hatte häufig hervorragende Torhüter. Ich erinnere an die gefürchtete belgische Abseitsfalle. Die hat Ipswich Town 1981 in England eingeführt und ist damit Meister geworden, erklärt mir Carl, der Ire.
Wir halten es in Tobi’s Bar nur eine Halbzeit aus, die Bildqualität ist unterirdisch, ich sehe Chancen immer erst in der Wiederholung, den Kommentator vom ZDF verstehe ich überhaupt nicht, zunächst denke ich, dass er extrem lispelt, dann wiederum denke ich, dass ein Verzerrer zwischengeschaltet ist, ich erkenne meine Muttersprache nicht mehr wieder. Wir Europäer haben also genügend Zeit, in Erinnerung an die großen alten Teams zu schwelgen, Enzo Scifo, Eric Gerets, Pfaff, Preud’homme, Belgien hatte häufig hervorragende Torhüter. Ich erinnere an die gefürchtete belgische Abseitsfalle. Die hat Ipswich Town 1981 in England eingeführt und ist damit Meister geworden, erklärt mir Carl, der Ire. Die Amerikaner in der Bar üben Situationskomik, schauen aber nicht richtig, für uns Europäer ist das nichts und wir gehen zurück in Fred’s Bar. Dort stellen wir in der zweiten Halbzeit fest, wie gut das Spiel eigentlich ist. Es ist wie Costa Rica gegen Griechenland ein offenes Achtelfinalspiel, d.h. es gibt keinen ausgesprochenen Favoriten und damit keine klare Rollenverteilung. Belgien spielt viel besser als noch in der Vorrunde und erarbeitet sich etliche gute Chancen heraus, doch Tim Howard hat einen ausgesprochen guten Tag erwischt und hält seinen Kasten sauber. Aber auch die Klinsmänner sind nicht chancenlos, sie kommen seltener zu Chancen, dann aber zu guten. Wie jene in der letzten Minute der Nachspielzeit der regulären Spielzeit. Frei vor dem Tor versemmelt einer und setzt die Hereingabe aus fünf Metern über den Kasten. Das wäre es dann gewesen, der lucky punch, unverdient, aber Hauptsache weiter.
Das Tempo bleibt auch in der Verlängerung hoch, de Bruyne und Lukaku stellen die Weichen früh auf Weiterkommen, die USA kämpfen bravourös in der zweiten Hälfte der Verlängerung, machen das Anschlusstor, doch zu mehr reicht es eben dann doch nicht. Uff, war das aufregend, das letzte Spiel des Achtelfinales war das interessanteste. Na ja, das Brasilien gegen Chile-Spiel war auch nicht schlecht, Griechenland gegen Costa Rica auch, eigentlich waren alle Achtelfinale gut und spannend. Außer Frankreich gegen Nigeria. Ist am Ende eh Wurscht, wer interessiert sich noch für das Achtelfinale? Das war gestern. Im Viertelfinale sieht das alles schon wieder ganz anders aus. Vier Europäer, sozusagen das Kerneuropa der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft für Kohle und Stahl, gegen Lateinamerika. Ach, ich freue mich schon.
Gerd Lemke