Viertelfinale – wie das früher klang. Viertelfinale, jetzt geht das Turnier für die deutsche Mannschaft erst richtig los, die Vorrunde war zum Einspielen und zum Finden der besten Formation, das Achtelfinale der erste Härtetest unter Wettbewerbsbedingungen, im Viertelfinale zeigte sich die ganze Qualität und zum Turnierende kam dann leider Spanien, dem man sich beugen musste. Oh, du Nostalgie... von Spanien lernen heißt...
Spanien enlässt Trainer
Schöne Erinnerungen, so denkt man in Deutschland. In Spanien denkt man ähnlich und hat Konsequenzen gezogen. Zwei Mal nur Achtelfinale, zwei Mal im Elfmeterschießen raus, davor sogar das Aus in der Vorrunde: Jetzt ist Schluss mit Ballbesitzfußball, das Modell FC Barcelona wird samt Trainer abgewrackt. Der neue Trainer soll aus der Nationalelf eine Mischung aus Real und Atletico Madrid machen.
Flick macht weiter
In Deutschland hat man das kaum wahrgenommen, denn die Schlagzeile der Woche übertönte alles: Flick macht weiter! Der DFB wird seiner gesellschaftspolitischen Rolle in diesen schwierigen und unsicheren Zeiten gerecht und sorgt für Kontinuität. Die deutsche Fußball Nationalmannschaft steht also weiterhin für Konstanz, Vorhersagbarkeit und Zuverlässigkeit. EM 2021 (Vorrunde): drei Spiele, vier Punkte, sechs zu fünf Tore; WM 2022 drei Spiele, vier Punkte, sechs zu fünf Tore. Nicht nur gegenüber der europäischen Konkurrenz, sondern auch im globalen Vergleich kann dieses Team seine Werte behaupten! Zum nächsten schönen Erfolg in zwei Jahren braucht es nun nur das rechte Augenmaß bei den unumgänglichen Veränderungen, welche die Zeit leider auch den erfolgreichsten Modellen auferlegt. Unüberlegter Aktionismus schadet da nur. Herr Flick, bitte entwickeln Sie das einst kopierte spanische Modell zur Perfektion weiter und zeigen Sie dann dem vom Weg abgekommenen Lehrmeister: Wenn wir etwas machen, dann richtig und gründlich! Wir sind unbeirrbar! Denn von Spanien lernen, heißt siegen lernen!
Brasilien scheitert mal wieder im Viertelfinale
Die wahren Fußballdramen spielen sich sowieso außerhalb Europas statt. Brasilien scheitert zum vierten Mal in den letzten fünf Turnieren im Viertelfinale. Jedes Mal gegen eine europäische Mannschaft. Nur ein Mal, da reichte es im Fußballkrieg gegen Nachbar Kolumbien zu einem Pyrrhus-Sieg im Viertelfinale. Doch die beiden folgenden Spiele (Halbfinale, kleines Finale: zwei Niederlagen, eins zu zehn Tore) würde man heute gerne gegen ein Viertelfinal-Aus im Elfmeterschießen in der Statistik eintauschen.
Und wieder wird es nichts mit Brasilien im Finale, mein Dienstagstipp ist damit hinfällig, meine Expertise beschädigt und eine der drei großen Marketing-Ikonen des qatarischen Fußball-Business ausgeschieden. Immerhin, ein sehr schönes Tor hat Neymar in seinem Abschiedsspiel geschossen. Das schien ja auch zu reichen, denn Gegner Kroatien spielte erstaunlich unangenehm, in der Spitze jedoch stumpf und abschlussschwach, zumindest gut zwei Stunden lang.
Fußball im Bett
Die erste Hälfte verfolgte ich gemütlich vom Bett aus, um meine Erkältung auszukurieren. Ich brachte meiner Tochter bei, dass die Rot-Weißen Kroatien sind. Die kontrollierten geschickt das Mittelfeld und verdarben den Kanariengelben den Spaß am Spiel. In der Pause wechselten wir ins Wohnzimmer und das Spiel wurde ungemütlicher – auch für die Rot-Weißen. Mit mehr Glück als Verstand überstanden sie die erste Viertelstunde ohne Gegentor, während meine Tochter eine Speise nach der anderen verlangte, probierte und zurückschob. Ich probierte währenddessen die von allen Europäern mit Spannung erwartete Mischung von Fußball und Glühwein, jedoch ohne public viewing auf dem Weihnachtsmarkt, mein in dieser Woche bedenklicher Gesundheitszustand riet mir davon ab.
Ein Glückstor reicht Kroatien
Das Spiel ging in die Verlängerung, was anderes sollte man von Kroatien auch erwarten. Ich rationierte bereits die Glühweinzufuhr, um bis zum Spielende versorgt zu sein. Unangenehm sind diese Kroaten, stellte ich fest. Der Maskenmann in der Abwehrmitte spielt tatsächlich in Leipzig, erfuhr ich. Mist, nach Willi Orban noch so 'ne Abwehrkante aus der Bundesliga, die der DFB-Elf entgeht. Und dieser Luka Modrić ist mit seinen bald vierzig Jahren einfach unverwüstlich. Nicht zu fassen, wie viele Kilometer der in einem Spiel immer noch abreißt und wie schnell er dabei noch ist. Modrić, der anti-Star von Real Madrid, ist der Zagorakis Griechenlands von 2004.
Neymars grandioses Abschiedstor
Trotzdem hatte Brasilien, genauer Neymar, seinen Moment und tanzte auf engstem Raum mit doppeltem Doppelpass die Abwehr aus, umkurvte dann noch den Torwart und netzte ein. An demselben Kunststück hatten sich die deutschen Stürmer gegen deutlich schwächere Abwehrreihen in diesem Turnier erfolglos abgearbeitet. Schaut euch das an, ihr Musialas, Gnabrys und Senés, so wird das gemacht! Ein kleiner Tipp: Wenn man nicht so gut ist wie Neymar, dann darf man die Tore auch einfacher erzielen! Die zählen dann auch!
Kroatien blieb dann nur noch eine Viertelstunde zum Ausgleichen, kaum jemand hätte noch einen Kůna auf die Schachbrettgemusterten gesetzt. Doch wie das eben so läuft, ein Tor kann immer mal fallen. So hat Australien beinahe das Achtelfinale gegen Argentinien kippen lassen. Ein an sich ungefährlicher Torschuss wird abgefälscht und der Torwart sieht ganz dumm aus. Brasilien ließ sich drei Minuten vor Schluss auskontern und ins Elfmeterschießen zwingen. Wie naiv ist das denn! Das grenzt schon an das taktischen Gesamtversagen des Halbfinales 2014.
Kroatien macht's wieder im Elfmeterschießen
Und dann läuft so ein Elfmeterschießen, das manche fälschlich als Lotterie bezeichnen, schnell mal gegen den Favoriten – und ist vorüber, bevor ein Neymar überhaupt an der Reihe ist. Kroatien schlägt Brasilien im Viertelfinale der Fußball-WM und steht zum zweiten Mal hintereinander im Halbfinale! Mit Spielern, die in der Bundesliga bekannt sind: Maskenmann Kvardiol und Kramarić
von Hoffenheim! Vielleicht sollte man in Frankfurt a.M. die Doktrin mal überdenken, von welchen Nationen man fußballerisch etwas lernen kann: Klug kämpfen wir Kroatien statt schludrig spielen wie Spanien.
Die ewigen Überlängen in den Qatar-Spielen brachten mich beinahe in Zeitnot und ich schaffte es gerade so, den Glühweinnachschub plus einer kleinen Lebkuchenzugabe zu organisieren, bevor Messi in Aktion trat. Herz, was kannst du bei Temperaturen um den Gefrierpunkt mehr an einem Freitagabend verlangen: Glühwein, Lebkuchen und Messi im Viertelfinale!
Nach Neymar auch Messi raus?
Ganz Qatar zitterte sicherlich bei diesem Spiel mit: Sollte die nächste Fußballgroßinvestition gegen die humorlosen Niederländer in den Sand gesetzt sein? Wird der Staat dann Steuern von seinen Untertanen erheben müssen? Der Rest der Fußballwelt – außer die Niederlande, Brasilien und ein paar unverbesserliche Cristiano Ronaldo Fanatiker – drückte Messi die Daumen. Wer noch ein Herz für Fußball hat, muss wünschen, dass sich Messi endlich die Krone aufsetzt.
Das Spiel verlief zunächst erwartbar. Louis van Gaal, der den deutschen Fußball mit seiner Doktrin, bei mir spielt Müller immer, auf Jahre kontaminiert hat, hieß seine Mannschaft, Argentinien kommen zu lassen. Das Spiel wäre - ähnlich wie das erste Viertelfinale - lange ereignisarm hin- und hergegangen, wenn Messi es nicht nach einer halben Stunde durch einen genialen Pass geöffnet hätte. Auch der Abschluss von Molina war so superb, dass man sich Ähnliches von Gnabry oder Sané nur schwer vorstellen kann.
Messi macht's
Messi muss Meister …, meine Doktrin, lange vor dem Eröffnungsspiel aufgestellt, lebte! Und wie erst, als Messi in der zweiten Hälfte einen Elfmeter verwandelte! Die Niederlande reagierte spät und warf in den letzten zehn Minuten alles nach vorne. Die dauerten in Wirklichkeit fast eine halbe Stunde. Van Gaal brachte mit Weghorst zwei Meter geballte Strafraumpräsenz und mit Luca de Jong einen Abräumer, der die Gegenspieler vom ehemaligen Wolfsburger abhalten sollte.
Und Weghorst warf sich gleich in die Partie hinein. Der Mann ging schon mit einer gelben Karte belastet aufs Spielfeld und legte sich gleich mit Messi im Mittelfeld an. Dann machte er das Spiel durch einen Kopfballtreffer nochmals richtig scharf. Argentinien antwortete mit einer Provokation, die sogleich eine Rudelbildung auf dem Spielfeld auslöste. Ich rechnete mit mindestens zwei Platzverweisen, doch außer weiteren Verwarnungen passierte nichts.
Wout Weghorst, ex-Wolfsburger, wird wichtig
Das Kalkül der Argentinier schien aufzugehen, die ins Spiel gebrachte Hektik den Niederländern den Spielfluss zu nehmen. Dann noch ein letztes unnötiges Foul, ein letzter Freistoß aus höchst aussichtsreicher Position. Wer würde die Verantwortung übernehmen? Über die Mauer oder mit Wucht ins Torwarteck? Es kam ganz anders, statt mit Wucht oder Schnitt auf Tor wurde einfach Weghort in der Mitte angespielt, der den Gegenspieler mit seinem Körper abhielt und in einer leichten Drehung den Ball am herausstürzenden Torwart vorbeischob. Das Tor begeisterte mich so sehr, dass ich sogar die Messi-Doktrin vergaß!
Oranje wird wieder passiv
Es ging in die Verlängerung, das Momentum lag bei den Niederlanden. Ich erwartete, dass sie dem Gegner jetzt den Todesstoß versetzten, gleich versuchen würden, offensiv nachzulegen, um ihn dann auszukontern. Ich erwartete mindestens ein 4:2 n.V. Wie sollten sie denn auch anders spielen, die Spielerwechsel ließen doch nur noch eine Spielweise zu? Doch wieder kam es anders. Trainerfuchs van Gaal ließ sich die Niederlande wie zu Anfang des Spiels wieder zurückziehen und abwarten. Worauf warteten sie denn? Das werden wir wohl nie erfahren. Auf jeden Fall sortierte sich Argentinien in der zweiten Hälfte der Verlängerung neu und kam gegen Ende des Spiels zu guten Chancen und einem Pfostentreffer. Dann ging es ins Elfmeterschießen und Messi gab mit seinem cool verwandelten Strafstoß gleich die selbstbewusste Richtung vor. Die ersten beiden Niederländer scheiterten und Argentinien brachte bei nur einem Fehlschuss den Vorsprung ins Ziel.
Messi hat noch zwei Spiele
Qatar atmete auf, der Großteil der Fußballwelt darf sich weiter auf Messi freuen und Weghorst hatte einen Nervenzusammenbruch. Da machst du das Spiel deines Lebens auf der größten Bühne, die die jemals geboten wurde. Du hoffst, dass deine bisher wenig glamouröse Karriere beim AZ Alkmaar, dem VfL Wolfsburg und dem FC Burnley, der dich nach dem Abstieg in die Türkei verliehen hat, wieder etwas Fahrt aufnimmt. Du schießt zwei Joker-Tore gegen Argentinien und machst auch im Elfmeterschießen deinen Ball rein. Alles vergebens. Nicht du darfst weiterspielen, sondern ein gewisser Messi. Nicht weiter macht übrigens Louis van Gaal, in den Niederlanden dreht sich mal wieder das Trainerkarrussel, mal sehen, welcher der üblichen Verdächtigen diesmal aufspringt. Zum Glück setzt man in Deutschland auf Kontinuität!
Gerade kam noch eine Schreckensmeldung herein: Neuer hat sich den Unterschenkel gebrochen! Diese Saison ist für ihn beendet. Wir wünschen baldige Genesung. Flick hält den Platz im Kasten für 2024 sicherlich frei, Ehrensache!