Zwei Tage Pause nach der Vorrundenfolter gehen schnell vorbei – zu schnell, finde ich. Was nun folgt ist de Achtelfinalqual mit engen Spielen, noch mehr Spielzeit und dramatik-heuchelnder Elfmeterballerei. Die Folterknechte der Uefa haben gleich mal eine verstärkte Dosis verordnet, drei Spiele der Droge Achtelfinalupper werden verabreicht.
Gewitter in Prag
Pünktlich zum Anpfiff von Ration eins geht in Prag ein Platzregen nieder. Ich hoffe auf Abkühlung nach den schwülen Tagen und wandele anschließend über die Letná. Der Regen verschafft etwas Erleichterung, fürwahr, aber das Gewitter und das drückende Wetter halten sich noch in der Stadt. Von ferne höre ich einen kollektiven Jubelruf, als ich an einem Wohnzimmer vorbeigehe, hinter dessen halb aufgezogener Gardine der Flachbildschirm Fußball zeigt, sehe ich ein Tor. Weiß spielt gegen Rot, das sind die Nationalfarben beider Länder, das heißt für mich also noch nichts. Wieder setzt ein kurzer Regenguss ein und vertreibt mich von der Straße, ich gehe in die nächst beste Bar ins Souterrain – siehe da, es ist Fred's Bar und ein Grüppchen verfolgt tatsächlich fasziniert das Geschehen. Es wird Festlandenglisch untereinander gesprochen, an dem ich die Sympathiezugehörigkeit nicht heraushören kann. Die Halbzeit geht zu Ende, es sind die Weißen und es war wieder ein Dortmunder Spieler mit nahezu unausschreiblichem Namen, der getroffen hat.
Torraumszenen en masse
Halbzeit zwei beginnt bärenstark, die Schweiz attackiert vom Anpfiff weg, Polen hält konternd dagegen, die Torraumszenen und Torschüsse häufen sich, solch ein offenes Spiel gab es bei dieser Eh Emm noch nicht.Fabian Schär räumt Lewandowski höchst rustikal im Mittelfeld ab, so dass man um die weitere Karriere des ladegehemmten Torjägers bangen muss. Nur eine Minute später revanchiert sich ein Pole an einem Schweizer weit draußen an der Außenlinie im Niemandsland. Es ist eben die Ausscheidungsphase, da wird einem nichts geschenkt. Nur stoppen die Brutalitäten weit jenseits vom Gut und Böse taktischer Fouls die Angriffsfreude beider Seiten für eine Viertelstunde, bis die Helveten wieder die Initiative ergreifen, denn sie müssen ja, schließlich steht es 1:0 für Polen.
Shaqiris Kunstschuss
Es dauert aber dann doch bis zur 87. Minute, ehe Shaqiri, bestens bekannt von seiner Zeit als Kurzarbeiter für den Münchner Fußballkonzern, mit einer ungemein artistischen Aktion das Ticket für die Extraschicht löst. Dieser Aktion seien ein hymnische paar Zeilen gewidmet.
Shaqiri, Mann aus dem Kosovo, groß geworden in der Schweiz, bekannt geworden beim FC Basel und hinausgezogen in die große Fußballwelt, dein Talent sei nicht vergeudet auf der weichen Ersatzbank des Fußballclubs Bayern, wo der Prophet aus Katalonien seine reine Lehre des Ballbesitzes nicht besudeln wollte mit ein paar Spritzern Dynamik und Entschlossenheit. Weitergezogen auf die teils holprigen Fußballfelder Italiens und eingepasst in eine Taktikauslegung der schnellen Gegenstöße, bist du nicht nur fähig der raschen Bewegung mit dem Ball am Fuß durch gegnerische Abwehrbeine, du hast auch den unbändigen Willen und die nötige Artistik zum spektakulären Abschluss. Dein Halbseitfallzieher von der Strafraumgrenze schlug ein in das bis dato so wohlbehütete Tor des gegnerischen Torhüters dank Zuhilfename des Innenpfostens. Shaqiri, Mann aus dem Kosovo, groß geworden in der Schweiz, dein Wille ist geschehen und der Ball endlich im Netz.
Nach diesem Tor kann ich erkennen, wem die Sympathien des zwischenzeitlich um 50% geschrumpften Grüppchens gehören. Den Weißen. Also nicht im rassistischen Sinn (allerdings: wer kann schon in Köpfe kucken?), natürlich nicht, sondern im Sinne der Trikotfarbe. Weil die Roten kurz vor Schluss ausgleichen und in der Verlängerung auch noch ein, zwei dicke Chancen versemmeln. Oder war es eigentlich umgekehrt, dass die Weißen die Roten waren und die Roten die Weißen? Wer soll sich da noch an die Trikotfarbe erinnern, nach so viel weiterem Fußball am selben Tag.
Egal, es geht ins Elfmeterschießen und da stellt Granit Shaqa bereits mit dem zweiten Versuch die Weichen auf Ausscheiden. Der Ball rutscht ihm etwas über den linken Außenspann und fliegt glatt am angepeilten Targetbereich vorbei. Sonst treffen alle und die glücklichere von zwei guten Mannschaften kommt ins Viertelfinale.
Innerbritische Angelegenheiten unter Ausschluss der Öffentlichkeit
Dort spielt auch Wales, das Nordirland dank eines Eigentors mit 1:0 bezwingt. In einer ausführlichen Zusammenfassung sehe ich später drei Szenen vor dem nordirischen Tor. Das sagt wohl alles über die Güte des Spiels. Ein Viertelfinale mit Nordirland? Das wäre dann doch des Guten zu viel.
Abends gehe ich in eine von Kroaten betriebene Bar um die Ecke und siehe da, der Fernseher läuft und drei Kroaten sind bereits da. Die Gruppe vermehrt sich im Laufe des Spiels gegen Portugal auf sechs, sieben Anhänger. Je länger das ereignisarme Spiel dauert, desto lauter wird die Gruppe, dabei tut sich eine Frau besonders hervor, deren Schreie mit zunehmendem Rakija-Konsum spitzer werden. Die Männer bleiben eher gelassen und eine Dunja trinkt weder noch zeigt sie großes Interesse am Geschehen. Sie sehe nie Fußball, gesteht sie später, und wenn, dann verliert Kroatien meistens. Well, dahinter muss keine Zwangsläufigkeit stecken, aber es kommt tatsächlich so. Nach dem Sieg über Spanien scheitert Kroatien leider bereits im Achtelfinale.
Kroatisches Mitfiebern
Das Spiel dauert ziemlich lange, Gewitter erhellen die Nacht, Chancen sind Mangelware, aufkommende Windböen schlagen die offenen Fensterflügel, Kroatien ist etwas aktiver und offensiver, doch es fällt enorm schwer, Chancen herauszuspielen. Auf der anderen Seite sind Ronaldo und Nani ganz gut abgeschirmt. Leider kann ich die taktischen Anweisungen des Fußballrats der kroatischen Landsmannschaft Prag-erweitertes Zentrum linksmoldauisch, nicht genau verstehen. Außer ein paar Flüchen, einigen Funktionswörtern und Namen bleibt mir Kroatisch noch unverständlich.
Ohne allzu große Aufreger – außer bei den kroatischen Frauen in der Bar – geht das Spiel in die Verlängerung über. Beide Seiten können noch eine frische Kraft in die Schlacht werfen, um das Elfmeterschießen abzuwenden. Kroatien bietet nun das ganze große Drama, schnürt Portugal im Strafraum ein und sucht die Entscheidung. Ball um Ball fliegt vor das Tor, immer wieder kann ein Portugiese in höchster Not ein Körperteil an den Ball bringen, es ist zum Haareraufen. Dann die Befreiung und die Weite des Spielfelds, schnell überbrückt, ein perfekt getimter Quer-steil-pass diagonal in den Sechzehnmeterraum, wo Cristiano Ronaldo steht, nicht lange fackelt und – am klasse reagierenden Torwart scheitert. Leider köpft ein mitgelaufener Portugiese den abgwehrten Ball unbedrängt ein. Entsetzen macht sich breit, doch gleich wieder die Anfeuerung. Vier, fünf Minuten bleiben Kroatien, um das Schicksal abzuwenden. Trotz einiger Aufreger sollte es nicht mehr reichen. Das ist das bittere Aus in der Vorrunde für die nach dem Spanien-Triumph geweckten Hoffnungen.
Ich bleibe noch in der Bar und unterhalte mich schließlich mit einer Japanerin, die von mir einige Informationen über europäische Standards in Herzensdingen erfragt. Nach der Konsultationsstunde bin ich erstaunt, wie unterschiedlich sich solche Dinge doch verhalten und wie viel Aufklärungsbedarf trotz Internet und Globalisierung immer noch besteht.