Prag - Tag 17: Und weiter gehts im Achtelfinale. Es bleibt keine Zeit darüber zu trauern, dass Mexiko ausgeschieden ist und wir auf die Krawattenkollektion des Trainers verzichten müssen. Auch werden wir in diesem Turnier die iranische Version eines Wimpels nicht mehr zu Gesicht bekommen, ein etwa Einfamilienhaus-großes Bild mit orientalischer Ornamentik.
Auch der Torwart von Ecuador hat seine Spezialität, nämlich die Landesfahne auf beiden Wangen. Es ist ein Mittelding zwischen Kriegsbemalung und Kindergeschmiere mit Fingerfarbe. Ihn bekommen wir noch einmal zu sehen. Gegen England.
Lampard führt
Englands schwedischer Trainer Ericsson ist ja derselben Meinung wie die Einheimischen. Frank Lampard ist der beste Mann des Turniers (SMS Voting des einheimischen öffentlich-rechtlichen Fernsehens). Auf Platz zwei bis fünf folgen Nedvěd, Čech, Baroš und Poborský, die Rangliste ist also höchst repräsentativ. Aus taktischen Gründen hält sich Lampard allerdings noch zurück, so ein Turnier dauert lange, nur wer am Ende noch Kraft hat, kann ja Weltmeister werden.
Lampard spielt also. Spider Crouch ist dafür nur auf der Ersatzbank. Vorne spielt alleine der Brecher Shrek Rooney. Und hinten sichert einer ab, denn alle vor zwei Spielen noch übel beschimpft und verhöhnt haben, Owen Hargreaves, der Mann mit dem deutschen Akzent und der furchterregenden Zweikampfbilanz. Er hat in einer Halbzeit mehr Zweikämpfe gewonnen als Lampard im ganzen Turnier geführt hat. Aber was zählt, ist ja eben das SMS Voting.
Beckham kotzt
Es ist so ein typisches Achtelfinalspiel mit einer kleineren südamerikanischen Mannschaft. Der Biergarten ist gut gefüllt und ich habe richtig Durst. Ecuador mauert, England begeht Fehler, die zum Glück nicht bestraft werden.
Die schönste Aktion des ganzen Spiels: Langer Ball auf Shrek, zwei ecuadorianische Verteidiger laufen ihn ab, machen die Gasse zu, der Torwart kommt raus, nimmt den Ball sicher auf. Aber Shrek will eben durchbrechen und bricht durch - strike nennt man das wohl beim Bowling. Alle vier Spieler kugeln sich anschließend auf dem Rasen.
Das Spiel endet erwartungsgemäß 1:0 für England. Becks Beckham, bekannt vor allem als Ehegatte von Victoria Beckham, versenkt einen Freistoß.
So muss man solch ein Spiel gewinnen, dafür lässt man Beckham ja die ganze Zeit mitspielen. Fotos beweisen, dass Becks anschließend auf den Rasen gekotzt hat, in den Fünfmeterraum vor die Torlinie. Um dem gegnerischen Torwart eine kleine Freude zu bereiten.
England holt den Cup (of tea?)
Alle Engländer im Biergarten sind sichtlich geschafft. So wird das nix mit dem Cup, sagen sie einerseits. Aber in ihren Herzen sieht es natürlich ganz anders aus. Im Endspiel noch einmal den Falkland-Krieg gegen Argentinien nachspielen, das ist es, was sie tatsächlich wollen.
Endlich sind auch die englischen Fans wieder so, wie wir sie kennen. Besoffen, grölend und randalierend. Dazu gesellen sich schnell noch ein paar deutsche Krawallbrüder und schon wird die Stuttgarter Innenstadt zerlegt. Es fehlen eigentlich nur noch die Holländer und schon wäre der halbe Fußballpöbel versammelt.
Die Holländer kommen dann noch und werden anschließend fehlen. Ein Mejse bringt ihre orange Federboa mit, weitere Mejses kommen mit orangenen Kleidungsstücken.
Nur die holländische Mannschaft, die tritt diesmal in weiß-blau an. Sie sind überhaupt nicht wiederzuerkennen. Leider auch in ihrer Spielweise. Richtig glücklich werden die Fans diesmal nicht - die Mannschaft sieht aus wie eine Albino-Version von Italien und spielt auch so. Nur noch brutaler, so wie Uruguay.
Falsche Farben, falsches Spiel
Eigentlich kann ich das Entsetzen der Fans richtig mit Händen greifen. Die Elftaal zeigt das Gesicht des hässlichen Holländers. Frühzeitig treten sie Christiano Ronaldo vom Platz. Das gibt nur gelb für Boulahrouz. Ronaldo kämpft tapfer mit den Tränen, muss dann aber doch vom Platz humpeln. Zwei Stollen sollen ihm immer noch im Oberschenkel stecken und müssen operativ entfernt werden. Ein Tor fällt auch noch, nämlich durch Maniche, der am Sechzehnmeterraum angespielt wird und mit dem Ball förmlich explodiert. Fantastisch!
Dämlich, dass ein Portugiese mit brasilianischem Künstlernamen völlig unnötig Hand spielt und vom Platz fliegt. Dann die zweite Halbzeit, beide Mannschaften haben Blut geleckt. Dem russisschen Schiedsrichter entgleitet das Spiel völlig aus den Händen. Fußball gespielt wird nicht mehr, nur noch provoziert, geschauspielert und gefoult. Die sogenannte Rudelbildung setzt ein. Dieser Fachausdruck besagt, dass Spieler beider Mannschaften einen Kreis bilden, in dessen Mitte zwei ausgewählte Hitzköpfe in einem Handgemenge schnell die Machtverhältnisse klar machen. Das muss blitzartig gehen, denn der Schiedsrichter greift für gewöhnlich schnell ein und hart durch.
Wider die guten Sitten
Erst trifft es Boulahrouz, gelb rot. Danach eine unglaubliche Szene. Der Schiedsrichter unterbricht das Spiel, damit das Rote Kreuz einige Verwundete einsammeln kann. Schiedsrichterball, Portugal überlässt den Ball Holland in der Erwartung, dass die ihn zum portugiesischen Torwart zurückspielen und das Spiel so weitergehen kann, wie es unterbrochen wurde, mit Ballbesitz für Portugal. Wie man das zwischen erwachsenen Spielern eben macht. Doch diesmal schnappt sich ein Holländer den Ball und will Richtung Tor ziehen. Portugals Brasilianer Deco grätscht ihn mit zwanzig Metern Anlauf brutal ab - nur gelb! Fliegt dann aber kurze Zeit darauf vom Platz, weil ihn ein holländischer Spieler umstößt, während er ihnen den Ball für den Freistoß zuwerfen will.
Spätestens jetzt ist klar, der Schiedsrichter hat die Kontrolle verloren. Das einsatzbereite Militär zieht den Ring um das Stadion bereits enger, um bei einer Eskalation sofort einmarschieren zu können. Holland und Portugal verteilen bereits eingeschmuggelte Schusswaffen auf der Ersatzbank. Zeitweise spielen zehn gegen neun, am Ende dann neun gegen neun. Und Holland ist draußen.
Befehlsverweigerung
Stürmerstar van Nistelroy übrigens auch, das ganze Spiel über. Sitzt Kaugummi kauend auf der Ersatzbank, macht sich warm. Rührt aber kein Gewehr an. Verweigert den Befehl. Und muss sich sofort nach Spielschluss zum Zivildienst melden. Trainer van Basten bringt ihn deshalb nicht. Bringt stattdessen den holländischen Stürmer mit dem längsten Namen des Turniers (sorry, hier ist nicht der Raum, damit Zeilen zu schinden). Unfassbar! Marco van Basten, einst ein so cleverer Spieler, begeht einen solchen Anfängerfehler. Spätestens in der Halbzeit hätte er van Nistelroy bringen müssen. Bei elf gegen zehn und einem Einsnullrückstand brauchst du doch einen Strafraumspieler! Das muss doch der ehemalige Weltklassestürmer van Basten selbst am besten wissen!
Nein, nein und nochmals nein, das waren nie und nimmer die Holländer, wie ich sie in Erinnerung habe. Das war wieder die dunkle Seite der Tulpe. Rijkard, der Völler anspuckt. Oder Koeman, der sich nach dem Spiel mit unserem Trikot den Allerwertesten abwischt. Spieler wie Robben, van Bronckhorst oder van Persie lassen sich auf eine solch üble Treterei ein! Nein, sie fangen sie ja sogar an, Portugal hat sich nur gewehrt. Ich bin tief enttäuscht und erschüttert. Orange wird zwar weiterhin meine Lieblingsfarbe bleiben. Doch die Elftal hat etwas gut zu machen.
Überhaupt hat Holland einfach keine Turniertaktik. Gegen Argentinien bemühen sie sich erst gar nicht um den Gruppensieg und nehmen in Kauf, gegen Portugal spielen zu müssen. Das geht prompt schief. Die Boas lassen weitere Federn.
Ihr deutscher WM-Beobachter in Prag
So, die richtige Lösung der letzten Frage lautete Belgien, Hollands Nachbar also, der sich diesmal nicht qualifizieren konnte.