Nicht einmal in Jahren, in denen das Schlittschuhrennen über das Ijsselmeer stattfindet, ist in den Niederlanden die Euphorie so groß, glaubt Gerd Lemke.
In einem hartumkämpften Spiel setzen sich die Niederlande mit Dreizuzwei gegen Uruguay durch und ziehen verdient ins Finale ein. Ob es dort zur Revanche für 1974 kommen kann, entscheidet sich heute Abend im Wiederholungsspiel des EM-Finales von 2008.
Wenn Spannung mit Händen greifbar wäre, hätte Rudi an diesem Abend sicherlich keine Gelegenheit gehabt, nach seinem Bier zu greifen oder eine Zigarette zu rauchen. Als am Ende der usbekische Schiedsrichter die Nachspielzeit von drei Minuten großzügig auf fünf Minuten ausdehnte, musste er sogar verfrühte Glückwünsche über sich ergehen lassen und van Bommel kassierte statt eines handshakes beim Abpfiff die gelbe Karte und einen letzten Freistoß gegen sein Team. Die Südamerikaner spielten zeitweilig wie von der Tarantel gestochen und als Zuschauer musste man Angst haben, dass der Adrenalinspiegel auf dem Spielfeld weit über dem von der FIFA amtlich erlaubten Höchstwert eines Stieres in der Stierkampfarena mit abgeschnürten Hoden lag.
Zwei fantastische Weitschüsse von Geovanni van Bronckhorst (Niederlande) und Diego Forlán (WM All Star Team) sorgten für ein ausgeglichenes Resultat bis zur Pause. Für uns alle, die wir Rudi entweder unterstützten in dieser schweren Stunde oder ein wenig auf dem Teppich hielten, war klar, das wird in der zweiten Hälfte eine heiße Kiste erleben würden, obwohl die Prager Temperaturen gerade tagsüber auf durchschnittliches holländisches Nordseewetter abgekühlt waren. Der andalusische Hund knurrte, jaulte und kläffte in der zweiten Hälfte und bekam seine Knochen schließlich noch vorgeworfen – Lohn für die Mühen in der zweiten Hälfte, als das Geschehen einem Armdrücken glich, bei dem niemand um keinen Preis der Welt, selbst auf Kosten eines Handgelenkbruchs, nachgeben wollte. Schließlich waren es Wesley Snejder mit einem Kunstschuss um die Ecke und Arjen Robben mit einem Kopfballtreffer – der hat in der abgelaufenen Saison für die Bayern keinen einzigen Kopfball zustande gebracht -, die scheinbar für die Entscheidung sorgten. Doch Uruguay legte in der letzten Minuten nach und lief fünf Minuten lang eine wilde Attacke auf das niederländische Tor – letztlich vergebens.
Eine halbe Stunde nach Abpfiff hatte Rudi sich wieder einigermaßen in der Gewalt und sagte lakonisch: Jetzt müssen wir uns ein Hotel suchen. Denn die Niederländer, geschäftstüchtig wie meist, hatten im Vorhinein nicht an den eigenen Erfolg geglaubt und ihre Herberge nur bis kurz nach dem Viertelfinale gebucht. Was ist das gegen unsere Situation, antwortete ich prompt darauf. Wir haben eigentlich keinen Trainer mehr. Dessen Kontrakt lief am 30. Juni aus und wenn das FIFA-Weltgericht uns böse will, schließt es uns, den Trainer, den Verband und das ganze Land für den Rest des Lebens aus und streicht in den Annalen die WM-Siege von 1954, 1974 und 1990. Oh Gott, hoffentlich habe ich jetzt damit keinen schlafenden andalusischen Hund geweckt!