Eine Liga gewinnt das beständigste Team. Selten kommt es am Ende zu Finalsituationen, selbst wenn, gehen mehr als 30 Spiele voraus. Alleine durch Glück kommt man nicht dahin. Ein Turnier gewinnt hingegen das Team, welches das Endspiel gewinnt. Egal, wie es dorthin gekommen ist. Ob mit sechs Unentschieden und drei Elfmeterschießen (zum Glück noch nie vorgekommen) oder mit sechs Sechsnull-Siegen (auch noch nie vorgekommen). Daher empfiehlt es sich, die Leistung in einem Turnier zu steuern. Portugal hat nur eines seiner sieben Spiele in der regulären Spielzeit gewonnen. Das mag sein, aber das hat gereicht. Allerdings – und das ist das Entscheidende - Portugal hat keines seiner sieben Spiele verloren.
Portugal bahnt sich den Weg
Und dann muss man sich eben diese Eh Emm mal anschauen, wie sie war. Portugal in einer Vorrundengruppe mit Österreich-Ungarn-Island. In der Vorrunde ist noch nie eine Mannschaft Welt- oder Europameister geworden. Ja, mit Ach und Krach und als schlechtester der vier besten Dritten durchgekommen, gegen Ungarn ums Überleben gekämpft und sich zu einem 3:3 Unentschieden gewürgt. Stimmt, doch wer so früh im Turnier schon mal auf der Schippe war, tankt Selbstvertrauen für die k.o.-Spiele. Achtelfinale gegen Kroatien. Die Kroaten treten mit enormem Selbstvertrauen an, denn im letzten Gruppenspiel haben sie den selbstverliebten Spaniern den Gruppensieg stibitzt. Nützt nur nichts, sowohl Kroatien als auch Spanien scheiden im Achtelfinale aus. Portugal rührt gegen den Geheimfavoriten Beton an, der seinerseits lange abwartend spielt und erst gegen Ende der Verlängerung ein wenig aufmacht. Und sich prompt einen Konter zum entscheidenden Tor fängt. Dies war bereits eine Blaupause für das Endspiel.
Nervenstark in k.o.-Phase
Viertelfinale, Polen geht früh in Führung. Und Polen bleibt am Drücker und erspielt sich Chancen. Doch Portugal bewahrt kühlen Kopf und der Neu-Münchner Sanches hat mit seinen 18, 19 Jahren einen lichten Moment und lässt Ronaldo vergessen. Ausgleich. Dann bewahren alle Portugiesen im Elfmeterschießen kühlen Kopf. So wie früher Deutschland. Wie oft hat Deutschland in einem Turnier ein Elfmeterschießen benötigt? Wie viele Elfmeter hat Deutschland übrigens gegen Italien verschossen und dennoch gewonnen? Einer sagte – ich weiß nicht, ob er nachgezählt hat – mehr als in allen Turnieren zuvor zusammen. Gerade in Deutschland sollte man auf Siege im Elfmeterschießen nicht herabsehen.
Auch mal souverän
Und dann war das Halbfinale gegen das Überraschungsteam Wales eine recht klare Angelegenheit. Das war einfach nur souverän. Wie ist Frankreich ins Endspiel gekommen? Ein Sieg in der fast letzten Minute gegen Rumänien, torlos gegen die Schweiz und ein Erfolg gegen Albanien. Im Achtelfinale gegen Irland gleich in der ersten Minute in Rückstand geraten und erst in der zweiten Halbzeit brilliert, dann nach einem Platzverweis gegen einen Iren auch mit etwas mehr Raum. Doch es sprang nur ein Zweizueins wie gegen Rumänien heraus. Im Viertelfinale hat es Island leicht gemacht zur Halbzeit stand es bereits Viernull. In diesem Spiel war Island entzaubert, sowieso war das isländische Spielvermögen durch den Underdog-Bonus und den Sieg gegen vertrottelte Engländer arg überschätzt. Gegen Deutschland spielte Frankreich nach den ersten paar Minuten eigentlich grottenschlecht. Und das nicht nur in der ersten Hälfte, sondern auch in der zweiten. Frankreich steht tief hinten drin, das war sicher nicht die abgesprochene Taktik und profitiert von zwei gruseligen Abwehrfehlern des hochüberlegenen deutschen Teams, dem an diesem Tag einfach die Fortune fehlt. Man sollte diese Dinge mal beim Namen nennen, ehe man von einem völlig unverdienten Turniersieg Portugals spricht. Die Portugiesen haben in ihren Spielen nichts geschenkt bekommen, sie haben sich jedes Spiel hart erarbeiten müssen und sind dermaßen gestählt ins Endspiel eingezogen. In dem sie natürlich wieder Außenseiter waren, im Endspiel gegen die Heimmannschaft, die gerade ihr Deutschland-Trauma besiegt hat.
Cristiano Ronaldo früh raus
Und dann scheidet Cristiano Ronaldo früh aus. Ein kantiger französischer Verteidiger oder defensiver Mittelfeldspieler rennt in sein Knie, seinen Oberschenkel oder welches empfindliche Körperteil auch immer. Zwei Mal kehrt Ronaldo auf den Platz zurück, erst nach kurzer Behandlung, dann mit dicker Bandage. Aber der Mann, dem man ein großes Ego hinterherwirft, hat die Schnitte und sagt in seinem vielleicht größten Spiel – ungeachtet der Champions-League-Endspiele –, es geht nicht mehr, die Mannschaft ist größer als ich, ich verlasse den Platz. Nennt man so etwas Egoismus?
Das Spiel, ach ja, das Spiel, es lebt von der Spannung. Trotz anderer Vorsätze schaue ich in Fred's Bar. Alle sind sie da, der quizzverrückte Ire, mein Mitbewohner, der mich fragt, ob ich glaube, dass Deutschland eine Chance hat. Ich knurre zurück, und wie sieht es mit England aus? Dann ist erst mal ziemlich lange Ruhe, bis er mir als Versöhnungsangebot eine Zigarette zuwirft. Ein der Spielleidenschaft frönender Amerikaner, dessen Sparsamkeit ihn davon abhält, richtiges Geld zu verlieren und der Fußball vor allem als statistische Wahrscheinlichkeitsrechnung versteht. Später Fred selbst, in gehobener Betrunkenheit gegen alle, das Finale und den Fußball im allgemeinen pöbelnd. War halt nicht das Turnier der Schweden. Der Mann aus Leicester, der nach der Sensationsmeisterschaft seines Heimatvereins höflich interessiert an dem Geschehen ist. Ein paar weitere Figuren und ein französischer Bekannter, mit dem ich – oh welches Glück! - eine Sprache exklusiv habe und mit dem ich mich ungestört austauschen kann.
Gignac ist schuld
Ich wette auf ein Ergebnis, 1:0 für Frankreich, denn mein Tipp 2:1 für Portugal ist schon vergeben, realistisch bleiben nur noch Einsnull für die eine oder Einsnull für die andere Seite. Und hätte Gignac, der Mann aus der mexikanischen Liga, in der vorletzten Minute statt den Pfosten das Tor getroffen, wäre alles gut geworden. Ich hätte das Geld eingestrichen und wäre mit meinem französischen Bekannten gepflegt in den Puff gegangen. Natürlich nicht, denn zum einen hätte der Gewinn dafür bei weitem nicht ausgereicht, zum anderen sind die Zeiten der seligen kuk-Monarchie längst vorbei, in denen man das ohne Gesichtsverlust machen konnte. Habe übrigens während des Turniers eifrig Joseph Roth gelesen, den Radetzkymarsch, quasi die Begleitmusik zum Untergang der Doppelmonarchie, dann auch die Kapuzinergruft, der Abgesang darauf und die 1002. Nacht.
Egal, Gignac schießt eben nur an den Pfosten und es gibt Verlängerung. In welcher zunächst nicht viel passiert, Frankreich dominiert, Portugal verteidigt und setzt dann und wann Nadelspitzen. In der zweiten Hälfte der Verlängerung, es nähert sich die 109. Minute, fragt mein französischer Bekannter bang, wann denn im letzten WM-Endspiel das Tor gefallen ist. Es war die 113. Minute, woran mich ein anderer Bekannter anlässlich des Deutschland-Italien-Spiels erinnert hat. Und im WM-Endspiel zuvor? Es mag die 109. gewesen sein, Iniesta. Und Portugal erhält einen Freistoß zugesprochen, ungefähr 20 Meter vor dem Tor. Da Cristiano Ronaldo mehr als eine Stunde zuvor das Spielfeld geräumt hat, ist endlich die Gelegenheit da, aus einem Freistoß etwas anderes als die Ronaldo-Show zu machen: Lange Rückwärtsschritte, um wie ein Weitspringer den Anlauf abzumessen, Fäusteballen, zwei, drei tiefe Schnaufer wie ein Taucher, ein schneller Anlauf, ein Schuss in die Mauer, der flehende Blick zum Himmel und den Anflug von Verzweiflung im Gesicht.
Gefährlicher Freistoß
Diesmal jedoch ist alles anders. Ich habe keinen blassen Schimmer, wer antritt, doch der Ball segelt über die Mauer und senkt sich gefährlich auf Lloris Tor. Von der Latte klatscht er zurück, in der Wiederholung sehen wir, dass Lloris wohl parat gewesen wäre, hätte sich der Ball wenige Zentimeter weiter gesenkt. Aber Portugal bleibt am Ball, ein Portugiese verschafft sich ein wenig Raum im offensiven Mittelfeld und zieht aus gut zwanzig Metern ab. Der Aufsetzer rauscht in die vom Schützen gesehen linke Ecke, Lloris hechtet und taucht, doch da ist nichts zu machen. Portugal führt und Frankreich läuft dem Rückstand vergeblich hinterher. Kein 2000 mit einem Ausgleich in der Nachspielzeit. Mein französischer Bekannter gibt sich gefasst, ist aber enttäuscht. Wäre ich auch.
Allgemeine Enttäuschung
In Fred's Bar sind irgendwie alle enttäuscht. Weil niemand Ronaldo diesen Titel gönnt, der ihn endgültig über Messi erhebt. Alle verehren den kleinen Wuselwind aus Argentinien, der gerade seinen Rücktritt aus der Albiceleste, also der Mannschaft mit dem blauweiß längsgestreiften Trikot, erklärt hat. Aus Enttäuschung, wieder mal ein Finale verloren zu haben. Und wie aus dem fernen Amerika, denn dort fand die Parallelveranstaltung zur Eh Emm stand, verlautbarte, hat er dort auch noch einen Elfmeter vergeigt. Vielleicht überlegt er es sich ja jetzt noch mal, der Messi. Ronaldo hat seinen internationalen Titel, gegönnt sei er ihm, er hat ja auch – ich lasse mich korrigieren – drei Tore geschossen und im Elfmeterschießen eiskalt verwandelt. Und er war so pietätvoll, den legendären Michel Platini in der ewigen Torschützenliste der Eh Emm nur einzuholen, jedoch nicht zu übertreffen. Hätte der Lance Armstrong, die strampelnde kastrierte Apotheke, das auch berücksichtigt, hätte man ihn nie des Dopings überführt und ihm seine fünf Tour de France-Siege belassen. Doch die Gier und das Business waren nun mal stärker und so hat man ihm eben alle sieben Siege aberkannt.
Griezmann oder Ballack?
So, die Eh Emm ist endlich vorbei, diese Veranstaltung, die sich gedehnt hat wie ein zäher Kaugummi. Sie hat mit Portugal zwar keinen Sensationssieger hervorgebracht, doch immerhin einen Sieger, den nicht viele auf dem Zettel hatten. Griezmann wird Torschützenkönig und könnte mit zweiten Plätzen in einer Saison mit Michael Ballack 2002 gleichgezogen haben.
So, jetzt gehen wir die 24 Mannschaften mal alphabetisch durch, was von ihnen in Erinnerung geblieben ist. Albanien, äh, tja... Belgien, da war doch mehr, C spielte nicht mit, Deutschland, nun gut, alles gesagt, England, nicht der Rede wert, Frankreich siehe oben, Griechenland leider nicht qualifiziert, Holland nicht vermisst, Irland überperformierend, Island überraschend, Italien wie meist, J gibt’s nicht, Kroatien dann doch nicht so weit, L, M, Nordirland uninteressant, Österreich, pfff, Polen, oha, Portugal polarisiert, Q, Rumänien unterirdisch, Russland zum Vergessen, Schweden schwach, Schweiz glücklos, Slowakei kampfstark, Spanien egozentrisch, Türkei nur gegen Tschechien gut, Ukraine geistesabwesend, Ungarn teilweise stark, V, Wales sympathisch, X, Y, Z.