Nun ist es amtlich, fußballerisch gehört die Türkei nicht mehr zu Europa und dessen kontinentaler Meisterschaft. Den meisten Spielern wird es egal sein, sie sind längst in Europa, manche spielen nicht nur Doppelpass, sondern haben ihn auch. So gesehen ist Erdogans Kurs, das Land aus Europa herauszuführen, fußballerisch voll aufgegangen. Die Türkei gehört nicht mehr zur EM, da hilft auch der kleine Heimvorteil beim Spiel in der Hauptstadt des befreundeten Aserbaidschan nichts. Die neutrale Schweiz macht sich wenig aus solchen geopolitischen Überlegungen, ihr bietet die Fläche der Berge genügend Raum, um sich zu entfalten.
Am Sonntag gehört Papi der Familie
Der Sonntag gehört ja traditionell der Familie, in diesem Fall heißt das, kein Fußballspiel um 15h, dafür zwei um 18h. Ich habe die Auswahl und entscheide mich für Schweiz gegen die Türkei und gegen Italien-Wales. Eine gute Entscheidung, denn als ich mich von meiner Siesta erhebe, steht es bereits 1:0 für die Schweiz, das Tor muss gleich zu Spielanfang gefallen sein. Aber es sollte nicht das einzige bleiben, Shaqiri, in Deutschland noch bekannt von der Ersatzbank bei Bayern München, trifft noch zwei Mal, auch die Türkei trifft sehenswert. Immerhin geht es für die Schweiz um ein mögliches Weiterkommen und dabei spielt das Torverhältnis eine entscheidende Rolle. Sie macht das Manko gegenüber Wales, das zeitgleich nur 1:0 gegen Italien verliert, zwar nicht wett, positioniert sich im Kampf um die vier besten dritten Plätze mit vier Punkten und einem Torverhältnis von -1 im Mittelfeld.
Die Schweiz darf hoffen
Das kann reichen, muss aber nicht. In der Halbzeit pause geschieht ein kleines Wunder, die Mutter meiner Tochter verlässt zum ersten Mal seit drei Tagen das Haus und bringt meine Tochter auf den Spielplatz. Die zweite Hälfte geht so weiter, wie die erste aufgehört hat, die Schweiz betreibt Chancenwucher und kassiert den Anschlusstreffer. Noch ein Gegentor und sie ist mit hoher Wahrscheinlichkeit raus aus dem Turnier. Shaqiri stellt den alten Abstand wieder her und das muntere auf und ab durch ein nahezu aufgelöstes Mittelfeld eröffnet beiden Mannschaften Torchance um Torchance. Für den Zuschauer ist das ein Augenschmaus, für die Trainer sicherlich der absolute Horror, was taktische Disziplin und Stabilität betrifft. Angesichts der Torschussbilanz ist die Ausbeute mit 3:1 für die Schweiz lächerlich gering. Die Gruppe endet also mit Italiens blütenreiner Weste, der maximalen Punktzahl und 7:0 Toren, dann folgt Wales, das von Italiens B-Elf-Mentalität, nicht mehr als nötig zu machen, profitiert und sich dank des besseren Torverhältnisses von 3:2 sicher für das Achtelfinale qualifiziert. Die Schweiz darf mit ebenfalls vier Punkten noch hoffen, der Türkei ist wenigstens das Ehrentor in diesem Turnier geglückt, dass sie punktlos als erstes Team verlässt. Wie schön kann ein Sonntagabend sein, wenn kein Fußball läuft, denke ich mir und spaziere über die Letná-Ebene leidlich frische Luft schnappen.